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Autor: | Reinhard Kowalewsky |
Auflage: | 40.585 |
Reichweite: | 137.894 |
Kommunen warnen vor Kollaps im Nahverkehr
VRR und VRS erhöhen zum 1. Januar die Preise und wollen weitere Zuschüsse. Auch einige Oberbürgermeister fordern mehr Geld, sonst drohe vielen Strecken das Aus. NRW-Verkehrsminister Krischer ist alarmiert.
Von Reinhard Kowalewsky
Düsseldorf/Köln Trotz und teilweise auch wegen der Einführung des "Deutschlandtickets" droht der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) im Land noch stärker in die Krise zu rutschen, sofern es keine weiteren Zuschüsse speziell vom Bund gibt. Weil die Kosten massiv steigen, heben die Anbieter nun die Preise für Einzeltickets und die verbliebenen Abos neben dem "Deutschlandticket" massiv an.
Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) kündigte am Montag bei einem Pressegespräch an, zum 1. Januar die Preise zwischen sechs und acht Prozent zu erhöhen. Auf Nachfrage erklärte der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS), mitziehen zu wollen. "Die Lage ist dramatisch", erklärte ein Sprecher des VRS. "Es wird weitere deutliche Anpassungen geben." Erst am 1. Juli hatte der VRS die Tarife um 3,87 Prozent erhöht.
Wie ernst die Lage ist, erläuterten bei dem Gespräch VRR-Vorstandssprecherin Gabriele Matz, VRR-Tarifvorstand José Luis Castrillo und die Oberbürgermeister von Essen, Thomas Kufen (CDU), und Bochum, Thomas Eiskirch (SPD). Dem VRR fehlen demnach wegen der Einführung des "Deutschlandtickets" im nächsten Jahr bis zu 340 Millionen Euro, sofern es beim Monatspreis von 49 Euro bleibt. Rund 300 Millionen Euro dieses Defizits sind durch Zusagen des Bundes und des Landes abgedeckt, aber für 30 bis 40 Millionen Euro gibt es bisher keine Finanzierungszusage des Bundes. Doch: "Wir brauchen diese Mittel, um planen zu können", so VRR-Manager Castrillo.
NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) erklärte, er unterstütze die Forderung des ÖPNV in NRW und bundesweit, dass der Bund die durch das "Deutschlandticket" entstandenen Mindereinnahmen bei Abos wirklich ausgleichen müsse: "Bund und Länder tragen die Kosten des bisher erfolgreichsten Tarifmodells in der Geschichte des ÖPNV gemeinsam. Die Länder haben ihren Anteil bereits geliefert. Was fehlt, ist mal wieder die Zusage des Bundes für die nächsten Jahre."
Gleichzeitig drängen Verkehrsverbünde und Kommunen darauf, dass sich Bund und Land langfristig stärker für Bus und Bahn engagieren. Das Defizit der Stadt Essen für den dortigen Nahverkehr werde 2024 von bisher 80 Millionen Euro auf 105 Millionen Euro steigen, sagte Essens Oberbürgermeister Kufen. Doch in Wahrheit seien noch mehr Mittel nötig, um die Investitionen steigern zu können. "Wir wollen die Attraktivität des ÖPNV deutlich erhöhen", so Kufen. Bessere Fahrpläne und kürzere Takte seien wichtig. Es sei eventuell ein Fehler gewesen, mit dem "Deutschlandticket" zuerst die Preise gesenkt zu haben, bevor man die Qualität erhöht habe.
Vor dem Stillegen von Strecken warnte Bochums Oberbürgermeister Eiskirch. "Wir müssen alles dafür tun, dass aus der Mobilitätswende kein Mobilitätsende wird. Und das werden wir ohne neue, tragfähige Finanzierung durch den Bund in den Kommunen allein nicht schaffen."
Während die Kommunen sich um Busse und Straßenbahnen sorgen, warnt der VRR als Betreiber von Regionalbahnen und S-Bahnen davor, dass hier massiv gekürzt werden muss, wenn es so weitergeht: "Wir befürchten eine kontinuierliche Unterfinanzierung der bestehenden Angebote, die zu Kürzungen in erheblichem Ausmaß führen könnten", sagte VRR-Managerin Matz.
Tatsächlich sei aber nötig, das Angebot von S-Bahnen und Regionalbahnen in NRW zu stabilisieren und massiv aufzubauen. 2,6 Milliarden Euro würden allein beim VRR bis 2031 gebraucht, um die jetzigen Linien unverändert weiter betreiben zu können, weitere 1,3 Milliarden Euro seien nötig, um die Kapazitäten um ein Drittel zu erhöhen, wobei völlig neue Strecken noch gar nicht in der Rechnung sind. "Der öffentliche Nahverkehr muss wachsen. Seine Planung darf nicht beim Erhalt der Bestandsverkehre stehen bleiben. Stattdessen muss der Nahverkehr bedarfsgerecht ausgebaut werden, um leistungsfähig und attraktiv zu sein", sagte Matz.
Verkehrsminister Krischer will sich für die zusätzlichen Mittel stark machen: "Wir brauchen endlich klare Vereinbarungen über die Finanzierung des ÖPNV, damit die Zuverlässigkeit verbessert und der Ausbau weiter vorangetrieben werden kann. Denn das beste Ticket nutzt nichts, wenn der Bus und die Bahn nicht kommen." Der CDU-Verkehrspolitiker Oliver Krauss aus Bonn sieht das genauso: "Wir brauchen nicht nur langfristig, sondern kurz- und mittelfristig eine deutliche Anpassung der Finanzmittel."
Der VRS erklärt: "Wir brauchen verlässliche Lösungen aus Berlin – ansonsten wird es nicht zum gewünschten Leistungsausbau, sondern zum Abbau von Bestandsverkehren kommen. Und das hätte für die Mobilitätswende dramatische Folgen."
Abbildung: Gedränge am Düsseldorfer Hauptbahnhof nach Zugausfällen gehört dort – wie anderswo im Land – mittlerweile zum Alltag. Foto: Christoph Reichwein
Christoph Reichwein (crei)