Rubrik im PS: | Hochschule Weihenstephan-Triesdorf - HSWT |
Auflage: | 17.290 |
Reichweite: | 57.749 |
Ressort: | Beilage |
Forschung zur kuhgebundenen Kälberaufzucht
Hinsichtlich des Tierwohls ist die Methode klar im Vorteil – aber es gibt noch zahlreiche ungeklärte Fragen, etwa die ausreichende Milchversorgung für den Rindernachwuchs
Die sogenannte kuhgebundene Kälberaufzucht, bei der das Kalb nach der Geburt einige Zeit bei der Mutter oder einer Amme Milch säugt, trifft auf ein wachsendes Interesse von Milchviehhaltungsbetrieben. Einige Praxisfragen sind jedoch ungeklärt, beispielsweise wie die Landwirtschaft überprüfen kann, ob die Kälber ausreichend Milch erhalten. Ein neues Projekt von Technischer Universität München (TUM), Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) und Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Freising arbeitet an Lösungen.
Einige Grundsatzfragen sind bisher noch nicht geklärt worden. In mancher Hinsicht, beispielsweise für den Immunstatus, bringt die kuhgebundene Kälberaufzucht Vorteile mit sich. Andererseits: Wird das Kalb erst später von seiner Mutter getrennt, ist damit deutlich mehr emotionaler Stress verbunden als direkt nach der Geburt. "In unserem Forschungsprojekt ist es uns wichtig, das Tierwohl ganzheitlich zu betrachten. Wir müssen darauf achten, dass sich durch die kuhgebundene Kälberaufzucht das Tierwohl und die Tiergesundheit verbessern oder, wenn diese bereits auf einem guten Niveau sind, dort erhalten werden", sagt Julia Steinhoff-Wagner, Professorin für Tierernährung und Metabolismus an der TU München.
Konkrete Beschaffenheit von Fressgittern
Der Plan sei, sich bei der Landwirtschaft zunächst mit einer Onlineumfrage zu erkundigen, welche Herausforderungen sie sehen. Dies umfasst Fragen der Tierernährung, zum Beispiel wie Kuh und Kalb entsprechend der Empfehlungen versorgt werden können, genauso wie den Bereich Landtechnik – etwa wie Fressgitter aussehen müssen, dass die Kuh jederzeit Zugang zu Futter hat und trotzdem das Kalb nicht hindurchschlüpfen kann.
"Als Tierärztin finde ich besonders spannend, wie sich kuhgebundene Kälberaufzucht auf die Eutergesundheit und die Inhaltsstoffe auswirkt", meint Eva Zeiler, Leiterin des Lehrstuhls für Tierproduktionssysteme in der ökologischen Landwirtschaft an der HSWT. Wenn mehrere Kälber an der Kuh saufen, werde das Euter häufiger komplett geleert – was sich positiv auswirkt. "Andererseits haben wir beobachtet, dass die Zitzen durch das Saugen und fehlende Pflegemittel stark beansprucht werden und es zu Hyperkeratosen kommen kann", so Zeller.
In der Tierarztpraxis wie auch bei Forschungsprojekten nehme sie wahr, so Zeller, dass immer mehr Betriebe Interesse an kuhgebundener Kälberaufzucht zeigen – aus Gründen der Arbeitswirtschaft, des Tierwohls oder der Tiergesundheit. "Wir haben allerdings festgestellt, dass es nicht ein Standardsystem für alle Betriebe gibt. Wie ein Betrieb das Verfahren umsetzt, muss zum Hof, der Herde und den Arbeitsabläufen passen. Außerdem: Nicht für jeden Betrieb passt kuhgebundene Kälberaufzucht. Unsere Erfahrungen aus Forschung und Praxis werden wir in dem neuen Verbundprojekt einbringen", urteilt die Wissenschaftlerin aus Weihenstephan-Triesdorf.
"Das Interesse von Landwirtinnen und Landwirten an dem Konzept wächst", befindet Jan Harms, Koordinator des Arbeitsbereichs Systeme der tierischen Erzeugung an der Landesanstalt für Landwirtschaft. "Häufig spüren wir allerdings eine gewisse Unsicherheit. Sie fragen sich, wie sich das Konzept auf das Tierwohl auswirkt. Das betrifft zum einen die Kälber: Bekommen sie ausreichend Milch? Nehmen sie das Verfahren überhaupt an?"
Schließlich sieht man nicht mehr, so Harms, wie viel das Kalb aus Eimer oder Tränkeautomat getrunken hat. Manche Landwirtschaftsbetriebe hätten die Erfahrung gemacht, dass Kühe "nicht immer mütterlich mit den Kälbern umgehen". Bezüglich der Kühe möchte man "die Eutergesundheit untersuchen und wie es sich auf Kuh und Kalb auswirkt, wenn nach einer langen Bindungsphase Kuh und Kalb getrennt werden". Neben Tierwohlfragen sei auch die Vermarktung noch ungeklärt, glaubt Harms: "Wird der Zusatzaufwand auch am Markt und letztendlich von den Konsumentinnen und Konsumenten honoriert?"
Zwei Zeitabschnitte seien besonders kritisch, wenn es um die Milchaufnahme geht: direkt nach der Geburt und nach der Trennung von der Kuh, versichert Julia Steinhoff-Wagner. "In diesen Phasen kommt es häufiger vor, dass die Kälber nicht genug Milch trinken. Daher ist es wichtig, in beiden Fällen die Kälber gut zu beobachten und falls nötig, Hilfestellung zu geben." So müssten die Kälber etwa nach der Geburt lernen, das Euter zu finden oder nach der Trennung von der Mutter mit Eimertränken und Festfutter umzugehen. Damit die Landwirtschaft, aber auch die Veterinärmedizin bewerten können, ob das Kalb ausreichend versorgt ist, entwickeln wir Beurteilungsbögen, die sich vor allem mit den von außen sichtbaren Indikatoren beschäftigen.
"Aktuell fallen Kühe aus der Milchleistungsprüfung (MLP), wenn sie dreimal nicht kontrolliert wurden", berichtet Eva Zeiler. "Das ist ein großes Problem – schließlich ist die MLP ein wichtiges Tool, um Tiergesundheit und Ernährungsstatus zu bewerten. Zuchtbetrieben fehlt darüber hinaus ohne MLP eine essenzielle Grundlage für die Zuchtwertschätzung." Man entwickele eine Lösung dafür. Die Idee sei es, auf Basis der vorherigen Leistungen hochzurechnen, wie viel Milch die Kuh in der Phase gibt, in der sie das Kalb säugt. "Zusätzlich sichern wir dies über die Tageszunahmen des Kalbes ab. Landwirt*innen müssen sich somit nicht mehr zwischen kuhgebundener Kälberaufzucht und Milchleistungsprüfung entscheiden", ergänzt Eva Zeiler. > Magdalena Eisenmann