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WirtschaftsWoche Online am 08.02.2025 (Internet-Publikation, Düsseldorf)

 
Rubrik im PS:Internet
Autor:Maja Brankovic
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Ressort:Politik / Deutschland /

Friedrich Merz

"In unserem Arbeitsmarkt stimmt etwas nicht mehr"

Bürokratie? Rückbauen. Arbeitsmarkt? Flexibilisieren. Steuern? Senken. Wie CDU-Chef Merz den Standort reformieren will – und warum er von einer Wahl der FDP abrät.

Erstveröffentlichung: 2025-02-08 06:49:05 letzte Aktualisierung: 2025-02-08 11:38:05

WirtschaftsWoche: Herr Merz, in zwei Wochen ist Bundestagswahl. Die Umfragen zeigen gerade eine gemischte Reaktion, seitdem Sie gemeinsam mit der AfD für eine verschärfte Migrationspolitik abgestimmt haben: Der ARD-Deutschlandtrend sieht die Union bei 31, Forsa bei 28 Prozent. Haben Sie sich im Endspurt womöglich verkalkuliert?

Friedrich Merz: Nein, Migration gehört zu den Top-Themen in der Bevölkerung und ich möchte, dass die Probleme endlich gelöst werden. Ich will mich nicht damit abfinden, dass wir bei der Bundestagswahl eine Verdopplung der AfD erleben. Bei der CDU erleben wir zurzeit eine unglaubliche Zustimmung, haben Hunderte von Parteieintritten. So eine Mobilisierung in der Schlussphase dieses Wahlkampfes habe ich nicht für möglich gehalten. Es läuft für uns ausgesprochen gut.

Mit der Migrationsdebatte ist Ihr anderes Kernthema, die Wirtschaft, in den Hintergrund gerückt. Dabei braucht die Wirtschaft dringend einen Ruck. Wie groß sind Ihre Befürchtungen, dass Sie mit Ihren möglichen Koalitionspartnern nicht die nötigen Reformen durchsetzen können?

So etwas wie derzeit haben wir in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gesehen. Wir hatten 2002 und 2003 zwei Jahre Rezession in Folge – und steuern jetzt auf das dritte Rezessionsjahr zu. Es gibt strukturelle Probleme in unserem Land, die wir lösen müssen.

Was hat für Sie Priorität?

Der Bürokratieabbau – wobei ich lieber vom Bürokratie-Rückbau spreche. Ich bin dazu mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im engen Dialog und sage ihr: Jetzt muss der Hebel in Europa wirklich umgelegt werden! Green Deal war gestern. Jetzt müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zum Hauptthema machen.

Den Bürokratieabbau haben schon viele Politiker vor Ihnen versprochen, auch von der Union. Trotzdem gab es am Ende immer mehr Regulierungen, mehr Bürokratie. Warum sollte jetzt ausgerechnet unter Ihrer Führung das gelingen, was andere nicht geschafft haben?

Die Zweifel sind berechtigt. Aber wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo es wirklich an die Substanz unserer Unternehmen geht.

Was planen Sie konkret?

Das Lieferkettengesetz und die Nachhaltigkeitsrichtlinie CSRD müssen nicht nur reformiert oder verschoben, sondern komplett aufgehoben werden. Wenn wir so weitermachen wie bisher, kommen die Investoren nicht nach Europa – und nicht nach Deutschland. Wenn wir jetzt nicht den Schuss gehört haben beim Thema Bürokratie-Rückbau, dann werden wir über viele andere Fragen gar nicht mehr reden müssen.

Dafür müssen Sie sich in Brüssel erst mal durchsetzen. Wie wollen Sie Deutschlands Einfluss dort wieder vergrößern?

Erstmal muss Deutschland überhaupt wieder eine Rolle in Europa spielen. Das ist in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt worden, nicht erst seit dem Regierungswechsel 2021. Ich werde deshalb darauf achten, dass die Kabinettsmitglieder in Zukunft wieder regelmäßig an den europäischen Ministerratssitzungen teilnehmen. Nur ein Beispiel, wie es nicht mehr laufen kann: Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat zweieinhalb Jahre an keiner einzigen Sitzung des Wettbewerbsrates, an keiner einzigen Sitzung des Binnenmarktrates der Europäischen Union teilgenommen. Wenn ein deutscher Bundeswirtschaftsminister zu Hause mehr mit der Wärmepumpe beschäftigt ist als in Brüssel mit der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, dann ist das der falsche Schwerpunkt.

Und was ist der richtige Schwerpunkt?

Ich werde auch darauf achten, dass wir den berüchtigten "German Vote" nicht mehr haben. Deutschland darf sich in Brüssel nicht enthalten, weil sich die Regierung zu Hause streitet und nicht auf einen gemeinsamen Weg in Brüssel einigen kann. Und ich möchte auch sehr viel stärker wieder mit Frankreich, mit Polen und mit den nordeuropäischen Ländern zusammenarbeiten. Man wartet dort auf Deutschland. Wir müssen in Europa wieder Führungsverantwortung übernehmen. Wenn wir jetzt mit einem amerikanischen Präsidenten Donald Trump in Konflikte geraten, muss Europa geschlossen sein. Wenn wir geschlossen sind, sind wir stärker als Amerika und Kanada zusammen, was die Einwohnerzahlen und damit die Zahl der Konsumenten betrifft. Wenn wir jetzt aber streiten, wird man uns in Washington nicht ernst nehmen.

Welchen Ton wollen Sie gegenüber Donald Trump setzen? Plädieren Sie für Zugeständnisse, wie wir sie von Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum und Kanadas Premier Justin Trudeau gesehen haben – oder setzen Sie auf Härte?

Ich würde uns erstens raten, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger öffentliche Belehrungen zu erteilen. Das mag niemand auf der Welt – und aus Deutschland heraus schon mal gar nicht.

Und zweitens?

Wir müssen uns vor jedem Gespräch, das irgendein europäischer Staats- und Regierungschef in Washington führt, untereinander einig sein und eine selbstbewusste europäische Haltung haben. Das hat 2018 während Trumps erster Amtszeit schon einmal geklappt. Trump hat damals hohe Zölle gegen Stahl und Aluminium aus Europa verhängt. Und dann ist Jean-Claude Juncker nach Washington geflogen mit Zöllen auf amerikanischen Whisky, auf amerikanische Jeans und auf amerikanische Motorräder im Gepäck. Innerhalb von sechs Wochen war das Problem ohne Zölle gelöst. So müssen wir sprechen: Aus einer Position des Selbstbewusstseins heraus auf Augenhöhe mit der amerikanischen Regierung. Das macht uns glaubwürdig.

Bei den heimischen Unternehmen wollen Sie mit Steuersenkungen punkten. Die Körperschaftsteuer soll von 30 Prozent schrittweise auf 25 Prozent sinken. Können Sie versprechen, diesen Plan auch umzusetzen – egal in welcher Koalitionskonstellation Sie künftig regieren könnten?

Ich möchte, dass diese 25 Prozent am Ende der Wahlperiode nicht nur im Gesetzblatt stehen, sondern in den Bilanzen der Unternehmen. Das ist auch dringend notwendig, denn wir liegen zurzeit mit unserer Steuerbelastung von deutlich über 30 Prozent in einem Bereich, der international nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Amerika wird jetzt auf 15 Prozent runtergehen. Das werden wir nicht schaffen. Aber eine Absenkung um fünf Prozentpunkte wäre ein erster Schritt.

Auf alle Gewinne?

Ja, auf alle Gewinne. Der Staat soll es sich nicht anmaßen zu urteilen, dass nur die Gewinne, die im Unternehmen bleiben, gute Gewinne sind und die, die ausgeschüttet werden, sollen schlechte Gewinne sein. Ich sehe eine Steuersenkung für thesaurierende wie für ausgeschüttete Gewinne, und zwar schrittweise auf 25 Prozent. Das will ich auch mit einer grundlegenden Reform der Gewerbesteuer verbinden. Denn die Gewerbesteuer in ihrer heutigen Form, mit den Hinzuberechnungen von Mieten, Leasingraten und Pachten, ist nicht zukunftsfähig. Wir müssen auf der anderen Seite dann aber auch eine vernünftige Kompensation für die Gemeinden planen.

Ihre Steuerpläne führen zu erheblichen Steuermindereinnahmen: 20 Milliarden Euro würden allein durch die Senkung der Körperschaftsteuer in der Staatskasse fehlen, zeigt eine Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Das mag sein, aber wenn wir bei 30 Prozent bleiben und die Wirtschaft immer weiter schrumpft, fehlen am Ende noch mehr Milliarden. Dann lieber temporäre Ausfälle durch eine Absenkung auf 25 Prozent, die dann aber zu einem wirtschaftlichen Aufschwung beitragen. Denn da müssen wir hin. Wir brauchen wieder eine wachsende Volkswirtschaft und dazu muss die Steuerpolitik einen Beitrag leisten.

Das werden Sie weder mit der SPD noch mit den Grünen als Koalitionspartner durchbekommen. Wie groß ist da Ihre Kompromissbereitschaft?

Am 23. Februar werden rund 60 Millionen Wählerinnen und Wähler in Deutschland entscheiden, wer die nächste Bundesregierung bildet. Sie entscheiden auch darüber, wie groß der Abstand von uns zu den Wettbewerbern sein wird, mit denen wir dann möglicherweise in eine Koalition gehen müssen.

Vielleicht am Ende doch mit der AfD?

Nein, wir haben dazu eine ganz klare Beschlusslage. Um es hier noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Keine Koalition, keine Zusammenarbeit mit dieser Partei.

Bleiben die SPD und die Grünen – womöglich in einer Kombination mit der FDP?

Die FDP liegt in den Umfragen aktuell bei vier Prozent.

Sind das vier Prozent zu viel für die Liberalen – oder ein Prozent zu wenig?

Wenn es auf die vier Prozent hinausläuft, dann sind es vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union. Ich hätte mir das anders gewünscht. Aber gegenwärtig sieht es nicht so aus, nach aktuellem Stand wird die FDP nicht mehr dem Deutschen Bundestag angehören. Ich würde das bedauern. Aber das ist die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler in Deutschland. Und dann müssen wir so weit vorne liegen, wie es eben geht. Denn ich möchte, dass sich in den Koalitionsverhandlungen andere Parteien dann nach uns richten müssen und wir uns nicht nach anderen. Das ist wie bei einem Unternehmen: Zwei Lieferanten zu haben ist immer besser als einer. Denn dann kann man Verhandlungen führen. Und das wird beim Thema Steuerpolitik sicherlich zentral sein.

In Deutschland gibt es derzeit eine große Debatte über zu hohe Krankenstände unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat klargemacht, dass es mit der SPD kein Aussetzen der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag geben wird, wie es zum Beispiel Allianz-CEO Oliver Bäte fordert. Wie stehen Sie dazu?

Wir haben in der Union schlechte Erfahrungen mit dem Thema. Damals haben wir gegen den massiven Widerstand der Gewerkschaften einen solchen Karenztag eingeführt. Dann gab es Tarifverhandlungen in der Metallindustrie, wo die vollen Lohnfortzahlungen ab dem ersten Krankheitstag wiederhergestellt wurden. Diese Entscheidung hat sich tief ins historische Gedächtnis der Bundestagsfraktion eingegraben.

Aber sind Sie für oder gegen einen Karenztag?

Ich halte wenig davon, diesen Konflikt jetzt noch mal zu suchen. Es wäre besser, Anreize zu finden, wie die Krankenstände in den Unternehmen reduziert werden können. Wir müssen die Krankenstände dort, wo sie sehr hoch sind, runterbringen, das ist unbestritten. Nur: Über die Instrumente, die wir dabei einsetzen, würde ich gerne mit den Arbeitgebern und mit den Gewerkschaften sprechen.

Mit Anreizen allein aus der Krise herauswachsen: Das klingt schön. Aber wird es wirklich ohne Zumutungen gehen?

Ich glaube, wir alle sollten uns zumuten, wieder eine höhere wirtschaftliche Leistung zu erbringen in unserem Land. Viele Millionen Menschen arbeiten hier sehr hart und sehr viel. Aber was die geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf betrifft, arbeiten wir in Deutschland vergleichsweise zu wenig. Die Teilzeitquote von bis zu 40 Prozent ist sehr hoch. Leider fehlen vernünftige Betreuungsmöglichkeiten in der Fläche für Kinder, die zum Beispiel in den Familien auch eine höhere Erwerbsquote zulassen würden. Und auch sonst müssen wir wieder das Zeichen geben: Wir wollen, dass ihr mehr arbeitet, wenn ihr könnt und wollt – und dann sollt ihr auch etwas davon haben.

Sie spielen auf das Thema Bürgergeld an.

Wir haben in Deutschland 5,6 Millionen Bürgergeldempfänger, von denen 1,7 Millionen Bürgergeldempfänger arbeiten könnten, es aber nicht tun. Zugleich haben wir im Jahresschnitt 700.000 offene Stellen, die wegen Fach- und Arbeitskräftemangels nicht besetzt werden können. Da stimmt in unserem Arbeitsmarkt etwas nicht mehr. Wenn Sie das mit Zumutung meinen, dann sage ich ja: Ich mute es uns allen zu, dass wir gemeinsam wieder ein höheres Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften.

Hinweis: Das Interview ist die leicht gekürzte Fassung eines Live-Gesprächs beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer in Schwäbisch Hall, das die WirtschaftsWoche veranstaltet und zu dem Friedrich Merz am Donnerstag per Video zugeschaltet war. /

Abbildung: Friedrich Merz (CDU) live zugeschaltet während des Weltmarktführer-Gipfels. Foto: Foto Vogt GmbH