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Wirtschaftswoche vom 03.01.2025, S. 92-93 (Publikumszeitschrift / Freitag, Düsseldorf)

        
Rubrik im PS:Print
Autor:Text Stefan Merx
Auflage:96.590
Reichweite:564.655
Quellrubrik:Management & Karriere

Weltmarktführer

An der Leistungsspitze

Der Filterspezialist Mann+Hummel steckt mitten in der Transformation. Damit diese gelingt, sorgt ein Performance Office für Struktur – und Sinn

Abbildung: Hanno Höhn ist Chief Performance Officer beim Weltmarktführer und damit die erste Anlaufstelle für den Wandel
FOTO: PR

■ Der Automobilzulieferer muss unabhängiger werden von seinem Erfolgsbringer – dem Verbrennermotor

■ Um sich bei der Transformation nicht zu verzetteln, hat das Unternehmen seine Strategie zerlegt und kontrolliert die Maßnahmen engmaschig

■ Um die Belegschaft mitzureißen, setzt es zudem auf emotionale Zielbilder

Bis zu seinem 14. Lebensjahr lebte Hanno Höhn in Kanada. Und so hat er früh eine Leidenschaft für Eishockey entwickelt. Als Spieler beim Mannheimer ERC schaffte er es in die Juniorenbundesliga, heute ist er Präsident der Bietigheim Steelers, einem Oberligisten mit Aufstiegsambitionen. Doch im Job fürchtet Höhn nichts so sehr wie den Hockey-Stick-Effekt – das verzögerte Eintreffen von Ergebnissen, die er mal geplant hat. Als Kurve auf Papier sieht das aus wie ein Eishockeyschläger: Lange tut sich nichts, dann erst geht das Geschäftsergebnis steil nach oben. "Die Verzögerung gilt es zu vermeiden", sagt der 58-Jährige streng. "Kein Monat ohne Fortschritt."

(Abbildung)
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Mann+ Hummel
Weltmarktführer für Filtrationssystemlösungen 22 015 Mitarbeiter 4,7 Milliarden Euro Umsatz

Beim Filterhersteller Mann+Hummel ist Höhn Chief Performance Officer – und damit für Ergebnissteigerung, Kostenstraffung, Prozessverbesserung zuständig. Der Weltmarktführer aus dem schwäbischen Ludwigsburg steckt in derselben Zwickmühle wie viele andere Automobilzulieferer, die stark vom Verbrennermotor abhängen: Jahrzehntelang baute Mann+Hummel mit seinen Luft-, Öl- oder Kraftstofffiltern ein florierendes Ersatzteilimperium auf, wurde System- und Entwicklungspartner der weltweiten Fahrzeugindustrie. Mit der Wende zur E-Mobilität bröckelt dieses Geschäft – langsam, aber stetig. Elektroautos brauchen kaum noch etwas aus dem Sortiment der Firma, abgesehen von Pollenfiltern.

91 Prozent des Umsatzes erwirtschaftete Mann+ Hummel 2023 im Transportbereich. "Das sagt schon viel über die Notwendigkeit der Transformation", so Höhn. Das zweite Standbein – Lösungen in Luft- und Wasserfiltration etwa für Gebäude – trug nur etwa neun Prozent zum Umsatz bei. Dieses Geschäftsfeld, als Hoffnungsträger auserkoren, wuchs währungsbereinigt nur um 1,4 Prozent und war zuletzt defizitär. "Wir konnten unsere selbst gesteckten Ziele nicht erreichen", heißt es im Geschäftsbericht. Laut der jüngsten Prognose gehe der Beitrag der neuen Division am Gesamtumsatz immerhin "in Richtung 15 Prozent", so Höhn.

ÜBERBLICK GESUCHT UND GEFUNDEN

Wie viele andere Zulieferer spürt auch Mann+Hummel: Wenn an zahlreichen Stellen gewerkelt wird, geht beim Management und auch in der Belegschaft schnell der Überblick verloren: Wie passt der Sparplan A zum Wachstumsziel B? Welche Abteilung kümmert sich jetzt federführend um welches Innovationsthema? Und diese Initiative aus dem vergangenen Jahr – gibt es die überhaupt noch?

Deshalb hat Mann+Hummel im Jahr 2020 ein Performance Office geschaffen: eine Stabstelle mit acht Mitarbeitern, in der alle Fäden zusammenlaufen. Höhn leitete es zunächst neben seiner Aufgabe als globaler Chefeinkäufer, seit September ist dies sein Vollzeitjob, angesiedelt direkt unter dem Vorstandschef Kurk Wilks. In allen Transformationsfragen ist Höhn die erste Anlaufstelle.

Dass dieses Performance Office derart weit oben in der Unternehmenshierarchie steht, darf als Signal des Aufbruchs an die 22 000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verstanden werden. Und es zeigt zugleich: Die Gesellschafter rund um Gründerenkel Thomas Fischer haben keine Zeit zu verlieren. Im Jahr 2023 sank der Umsatz um 124 Millionen Euro. Von 100 Euro Erlös blieben nur noch 30 Cent Gewinn hängen. Zuvor waren es immerhin 3,70 Euro. Das Unternehmen müsse "gleichzeitig neue Produkte entwickeln, neue Geschäftsfelder und neue Märkte erschließen", fordert Chefkontrolleur Fischer. "Auf dem Weg dorthin dürfen wir uns aber nicht selbst den Stecker ziehen." Es gilt also, im Kerngeschäft mit der Autoindustrie weiterhin genug Geld zu verdienen, um die Transformation überhaupt möglich zu machen.

Zu Beginn wurden im Performance Office etwa 25 Projekte aus den Bereichen Organisation, Prozesse und Digitalisierung zusammengefasst, die mindestens ein Ergebnis von zwei Millionen Euro einbrachten. "Das war eher eine klassische Vorgehensweise", erinnert sich Höhn. Man setzte sich Termine, an denen bestimmte Meilensteine erreicht sein sollten, schaute ab und an auf die Kennzahlen, ob man auf dem richtigen Weg sei. Parallel dazu liefen noch viele weitere Wachstums- oder Kostensenkungsprojekte – und Höhn stellte nach zwei Jahren ernüchtert fest: "Wir verloren an Überblick, und die Umsetzung litt." Da war er, der gefürchtete Hockey-Stick-Effekt: Viele Projekte waren nicht mehr auf Kurs, hätten eigentlich viel weiter sein sollen.

Höhns Diagnose fällt deutlich aus: "Wir hatten viel zu viele Projekte drin, zu viele Meetings und zu viele Steuerkreise – einfach zu wenig Priorisierung und Fokussierung." Was mal gut gemeint war, zerfaserte und war kaum noch zu koordinieren. Im Spätsommer 2022 wurde klar: Eine neue Methode musste her, damit die gesteckten Ziele erreicht werden. Ein Mix aus Aufbruchstimmung und Kontrolle.

Mann+Hummel setzte zunächst auf einprägsame Zielbilder, um alle auf die gemeinsame Mission einzuschwören."Niemand kommt hier zur Arbeit, nur um ein bestimmtes Ebit-Ziel zu realisieren", sagt Höhn. Eines dieser Ziele besteht deshalb beispielsweise darin, für saubere Luft und sauberes Wasser zu sorgen, ein Menschenrecht. Und zwar nicht nur im Straßenverkehr. "Unser Know-how in der Filtration endet ja nicht an der Stoßstange eines Lkws", betont Höhn. Und gleichwohl hat der Manager auch ein betriebswirtschaftliches Ziel ausgegeben: Bis 2030 soll das Produktspektrum deutlich ausgeglichener sein. Auch wenn Höhn ein Verhältnis von 50:50 unrealistisch erscheint – bei 85:15 soll es nicht bleiben, wenn es um den Transportsektor auf der einen Seite und andere Anwendungen für die Landwirtschaft, die Bau- oder Energietechnik auf der anderen geht.

NACH SECHS MONATEN WIRD’S BEQUEM

Dieses große Ziel zerlegte Höhn mit 17 Modulverantwortlichen in kleinere Bausteine: Diese Führungskräfte, ob leitende ITler, Personaler oder Einkäufer, blicken dabei auf ihnen zugeordnete "Puzzlestücke" – so heißen die aktuell insgesamt 250 Einzelinitiativen, die je einen Zeithorizont von etwa zwei Jahren haben. In Asien bestand ein Puzzlestück zuletzt darin, die Nummer eins in ausgewählten E-Commerce-Kanälen für Filterelemente im Ersatzteilgeschäft zu bleiben. Für ein abteilungsübergreifendes Team war es der Startschuss zu einem sechsmonatigen Sprint in Richtung Jahreswechsel. Darin galt es unter anderem, einen TikTok-Probelauf zu starten und für den 11. November, den chinesischen Kaufrauschtag, einen Businessplan aufzustellen.

Sechs Monate hält Höhn für einen maximalen Zeitrahmen. Würde man ihn großzügiger fassen, davon ist der Manager überzeugt, steige nur die Zahl der Entschuldigungsgründe, warum etwas nicht laufe. Um die Fortschritte im Blick zu behalten, genügt Höhn inzwischen eine monatliche Videokonferenz mit den Modulverantwortlichen. "Statt wie früher PowerPoints zu diskutieren, klappen wir lediglich ein Tool auf – und schauen auf den Zielerfüllungsgrad." Ihre Ziele sollen die Sprinter zumindest zu 80 Prozent erreichen, fordert der Cheftrainer.

Ein paar Jahre, so schätzt Höhn, brauche das Performance Office noch. Dann habe sich die Denk weise in der Belegschaft gewandelt und er sich selbst abgeschafft. Höhn könnte sich dann wieder freuen über Hockeysticks – auf dem Eis. ■

Drei Produkte für die Transformation

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