Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.05.2025, S. 19 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Frankfurt am Main)
Rubrik im PS: | Sozialpolitik |
Autor: | dc. Berlin. |
Auflage: | 179.017 |
Reichweite: | 798.080 |
Quellrubrik: | Wirtschaft |
Hitziger Streit über Verwaltungskosten der Sozialkassen
Verdi wertet Arbeitgeber-Vorstoß als Attacke gegen den Sozialstaat / Krankenkassen: Streben nach mehr Effizienz
Von dc. Berlin.
Die Sozialversicherungen geben jährlich 25 Milliarden Euro für Verwaltungskosten aus. Nach Auffassung der Arbeitgeberverbände ist das unnötig viel, da sich der Administrationsaufwand durch straffere Strukturen senken lasse. Allerdings hat ihr Vorstoß, über den die F.A.Z. am Mittwoch berichtete, eine teils scharfe Kontroverse ausgelöst. Die Gewerkschaft Verdi, die Beschäftigte der Sozialversicherung vertritt, lehnt ihn kategorisch ab und sieht darin Stimmungsmache gegen den Sozialstaat. Differenziertere Urteile kommen aus den Reihen der Krankenkassen.
Keinerlei Verständnis für den Vorstoß von Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger zeigt Julia Böhnke, Bundesfachgruppenleiterin für Sozialversicherungen beim Verdi-Bundesvorstand. "Die Beschäftigten in den Krankenkassen, bei der Bundesagentur für Arbeit oder in der Rentenversicherung arbeiten längst am Limit", sagte sie der F.A.Z. "Wir betrachten mit Sorge, dass die Arbeitgeberverbände versuchen, über Verwaltungskosten Stimmung gegen einen handlungsfähigen Sozialstaat zu betreiben." Gerade in Zeiten tiefgreifender wirtschaftlicher Umbrüche sei es "gefährlich, diesen sozialen Haltpunkt auszudünnen". Außerdem sei etwa die Verwaltungskostenquote der gesetzlichen Krankenkassen seit 2009 gesunken, nicht gestiegen.
Anne-Kathrin Klemm, Vorstandsmitglied des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK), hob hervor, dass in der Krankenversicherung "bereits jetzt intensiv daran gearbeitet wird, Effizienzreserven zu heben", etwa durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Leider werde das zuweilen durch hergebrachte gesetzliche Schriftformerfordernisse erschwert. Als "Nebelkerze" wertete Klemm indes "die immer wieder aufkommende Idee eines zentralisierten Verwaltungsapparats, der vermeintlich Ineffizienzen im System per Geisterhand beseitigt". Zugleich greife die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) aber auch "Punkte auf, die die Betriebskrankenkassen seit Langem fordern".
Den Anstoß zu dieser Kontroverse gibt ein BDA-Papier mit Vorschlägen "für eine effiziente Verwaltung der Sozialversicherungsträger". Es stellt zunächst deren Verwaltungskosten dar. Die Ausgaben der Krankenkassen hierfür beliefen sich demnach zuletzt auf knapp elf Milliarden Euro; bei Arbeitslosen- und Rentenversicherung fielen je knapp fünf Milliarden Euro an; rund zwei Milliarden Euro waren es bei Pflegekassen und gesetzlicher Unfallversicherung.
Ein einschneidender Vorschlag betrifft die Selbstverwaltung der Sozialkassen, in deren teils verästelten Gremien Arbeitgeber-und Gewerkschaftsvertreter Steuerungs-und Aufsichtsfunktionen ausüben: Nach Ansicht der BDA sollten die Aufgaben der Sozialpartner in jedem Versicherungszweig auf einen zentralen Verwaltungsrat konzentriert werden. Bei der Bundesagentur für Arbeit ist das schon der Fall. Dagegen besteht etwa die Rentenversicherung aus 17 eigenständigen Trägern mit eigenen Gremienstrukturen.
Noch vielfältiger sind die Strukturen der arbeitgeberfinanzierten Unfallversicherung. Ihr Dachverband hat einen 14-köpfigen Vorstand und eine 68-köpfige Vertreterversammlung; entsprechende Gremien haben zugleich die neun Berufsgenossenschaften und 15 Unfallkassen. Ähnlich ist es in der Krankenversicherung. Die 94 einzelnen Krankenkassen sind aber insofern eigenständiger als Renten- und Unfallversicherungsträger, als sie miteinander konkurrieren. Für Kassenvertreterin Klemm spricht das gegen eine Zentralisierung.
Ein vom BKK-Dachverband unterstützter Punkt ist aber die BDA-Forderung, die behördliche Aufsicht zu vereinheitlichen. Bisher werden Sozialkassen je nach ihrer Historie von Landes- oder Bundesbehörden kontrolliert. Politisch dürfte aber vor allem die Debatte über Strukturen der Selbstverwaltung bald Fahrt aufnehmen. Die Regierung plant schon ein Gesetz zur Modernisierung der Sozialwahl, mit der die Versicherten alle sechs Jahre ihre Vertreter in der Selbstverwaltung wählen.