Hans-Böckler-Stiftung

Freie Presse Chemnitz vom 02.06.2025, S. 4 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Chemnitz)

       
Rubrik im PS:Hans-Böckler-Stiftung
Autor:Gemeinschaftswerk der Evangelischen epd-bildservic
Auflage:27.903
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Ressort:Chemnitzer Zeitung / Nachrichten

Ist Österreich ein Vorbild bei der Rente?

In der Alpenrepublik bekommt der Standardrentner mehr heraus als der Deutsche. Doch das hat auch seinen Preis.

Dirk Baas

Das deutsche und das österreichische Rentenrecht unterscheiden sich nicht nur beim Leistungsniveau, sondern in zahlreichen Regelungen der Finanzierung. Dennoch sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin): "Österreich kann als Vorbild für Deutschland bei der Rentenreform gelten." Die Alpenrepublik habe vorgemacht, wie die Aufnahme von Beamten und Selbstständigen die gesetzliche Rente stärken, das Rentenniveau deutlich steigen und die Altersarmut sinken kann, sagt Fratzscher. "Wichtig ist aber, dass ein deutlich höheres Rentenniveau in Österreich nur wegen höherer Beitragssätze und stärkerer steuerlicher Zuschüsse möglich ist."

Florian Blank, Referatsleiter Sozialpolitik der Hans-Böckler-Stiftung, sagt: "Die Integration Selbstständiger in die Rentenkassen ist zwar kein Allheilmittel gegen den demografischen Wandel, und trotzdem kann die Ausweitung der Rentenversicherung sinnvoll sein." Die Deutsche Rentenversicherung Bund nennt es interessant für die deutsche Reformdiskussion, "wie es die Österreicher geschafft haben, ein einheitliches Rentenrecht für alle Erwerbstätigen auf den Weg zu bringen."

Auch die neue Bundesregierung will mehr Rentenbeitragszahler gewinnen. Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass neue Selbstständige, "die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind", in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden sollen. Zu Beamten und anderen Berufsgruppen gibt es keine Festlegung.

Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahr 2023 erhalten langjährig Versicherte nach 45 Beitragsjahren (Standardrente) hierzulande durchschnittlich 1692 Euro und im Nachbarland 2515 Euro. Das liegt zum einen an der breiteren Basis an Beitragszahlern. In Österreich zahlen rund 94 Prozent aller Erwerbstätigen in die Rentenversicherung ein, in Deutschland sind es nur rund 79 Prozent (ohne Minijobber). Zudem wurden in Österreich Selbstständige (seit 1977) und Beamte (ab 2005) in das System der gesetzlichen Rentenversicherung integriert. Darüber hinaus liegt der Beitragssatz in Österreich seit 1988 unverändert bei 22,8 Prozent (Deutschland: 18,6 Prozent). Beim Nachbarn zahlen Arbeitgeber mit 12,55 Prozent höhere Beiträge als die Arbeitnehmer (10,25 Prozent). Allein dieser Unterschied macht rund ein Drittel der Rentendifferenz (156 Euro) aus, so die Dezernenten der Deutschen Rentenversicherung, Ulrich Brandt und Christoph Freudenberg.

Rechnet man noch die Auswirkung des deutlich höheren Staatszuschusses, den die österreichische Regierung Jahr für Jahr in die Rentenkasse zahlt, hinzu, dann ist schon die Hälfte der Rentendifferenz zu Deutschland erklärt. Nach Angaben des Rentenexperten des Ifo-Instituts Dresden, Joachim Ragnitz, zahlt Österreich 2088 Euro pro Kopf, Deutschland nur 1538 Euro aus dem Staatshaushalt in die Rentenkasse ein. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln warnt: Die sofortige vollständige Überführung aller 1,9 Millionen Beamten in die Rentenkassen wäre sehr teuer.

Bei einer paritätischen, also hälftigen Finanzierung der Kosten durch öffentliche Arbeitgeber und künftig rentenversicherungspflichtige Beamte wären es zehn Milliarden Euro, so das IW. Gegen die vollständige Kopie des Rentensystems Österreichs spricht vor allem der deutlich höhere Rentenbeitrag. "Ich weiß nicht, ob man das in Deutschland so haben will. Das belastet die erwerbsfähige Generation noch stärker als ohnehin schon", sagt Ifo-Experte Ragnitz. Zudem sind die Abschläge beim vorzeitigen Wechsel in den Ruhestand in Österreich mit 4,2 Prozent höher als in Deutschland (3,6 Prozent). Und die Renten werden im Nachbarland voll versteuert, und der Eingangssteuersatz ist deutlich höher als in Deutschland.

Vorschläge, Beamte in die Rentenkasse aufzunehmen, sind für Ragnitz entweder gar nicht sinnvoll oder führten zu einer Verschiebung der Kosten auf einzelne Gruppen, ohne das grundsätzliche Problem zu lösen. "Sie führen in vielen Fällen auch nur dazu, dass das Problem fehlender Nachhaltigkeit dann halt 30 Jahre später eintritt, aber nicht gelöst ist." (epd)


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