Prof. Dr. Nida-Rümelin

WELT+ am 08.05.2025 (Internet-Publikation, Berlin)

 
Rubrik im PS:Prof. Dr. Nida-Rümelin
Autor:Don Alphonso
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Im Paradies braucht niemand den linken Kulturkampf

Friede, Freude, Weimerkuchen

Ach, wieviel hängt doch davon ab, in welche Zeit auch des besten Mannes Wirken fällt , sagte einmal Papst Hadrian VI., der ausgesprochener Gegner des klerikalen Pomps war, viele Künstler brotlos machte, die Bestechung am Vatikan bekämpfte und nach kurzem Pontifikat starb. Nie verstummten die Gerüchte, man hätte den Asketen anno 1523 ermordet. Seinen Tod bejubelte auch die Kulturszene, die auf neue, korrupte Gönner auf dem Stuhle Petri hofften, die den Kirchenzehnt der armen Gläubigen wieder in Orgien, sexuelle Ausschweifungen, willigen Metzen, leistungslosen Pfründen und Gemälden anlegten. Seitdem hat sich einiges geändert, denn der Kulturbetrieb wanderte von der Suche nach Geld anderer Leute vom schmutzigen Tiber an die dreckige Spree, und seit die Berliner Galerieszene an den Folgen von Corona und Ukrainekrieg eingegangen ist, gibt es dort praktisch keine Gemälde mehr. Den Rest gibt es noch. Aber nun ist Claudia Roth als Freundin und woker Schirmherrin allerlei progressiver Festivitäten im Kultur- und Medienbetrieb aus dem Amt geschieden, demokratisch übrigens und nicht durch Meuchelei, und das heißt:

Die Laune ist unter der S-Bahn wieder so schlecht wie nach dem Amtsantritt von Hadrian VI. Leute wie ich bekommen das unmittelbar zu spüren, denn lange hat sich diese Szene daran gewöhnt, ihre Meinungen apodiktisch verbreiten zu können. Was nicht passt, ist Sünde und muss weg, so galt das früher. Dummerweise ist es nun aber so, dass sich doch ein erheblicher Teil des Volks die Freiheit herausnimmt, ketzerisch etwas zu wählen, was der Kongregation des rechten linken Glaubens nicht behagt. So gibt es natürlich Ideen, wie man dero Unbotmäßigkeit im Keime erstickt: Christian Stöcker vom Sturmgeschütz der Hamburger Inquisition etwa fordert, keine Wahlumfragen mehr zu machen, die nur der AfD helfen und den Wählern den Eindruck vermitteln, sie seien nicht so allein, wie andere das gern hätten. In einer Art Wort zum Mediensonntag fordert Gilda Sahebi, Journalisten sollten eine Schulung bekommen, damit sie die Schwefelpartei so behandeln, wie sie das gern hätte. Und bei Bluesky hat man seitens der Volksverpetzer und ihrer Geißler erfolgreich eine ZDF-Mitarbeiterin vergrault, weil die sich partout nicht in ihre Arbeit hineinreden lassen wollte. Wie unzivilisiert, wirklich.

Es gab mal eine Zeit in Deutschland, da wurde so etwas auch versucht, unter dem Motto „Freihaltung des Schrifttums von ungeeigneten und unzuverlässigen Elementen“. Aber, wie oben schon erwähnt, wir haben einen Regierungswechsel und damit einen neuen Staatsminister für Kultur und Medien namens Wolfram Weimer. Nachdem dieses Blog auch dem schönen Leben am Tegernsee gewidmet ist, kann ich hier freimütig sagen, dass ich es natürlich begrüße, wenn einer der Unseren sich die Mühe antut, weniger glücklichen Regionen ein wenig von dem hiesigen Glanz zu überbringen. Ohne jede Frage ist der Tegernsee das absolute Gegenteil von Hamburg und Berlin, und das macht auch seinen Reiz aus. Gleich oberhalb meines typischen Badestrandes ist das herrlich gelegene Gut Kaltenbrunn, betrieben von Feinkost Käfer und bekannt aus so gut wie jeder CSU-Wahlwerbung. Da oben stehen sie dann und genießen den Blick über den See, der so weltenfern aller typischen deutschen Probleme ist: Keine marode Industrie, keine Armutsviertel, keine einstürzenden Brücken und Grüne in beträchtlicher Zahl nur, wenn Herr Weimer dort seinen Ludwig-Erhard-Gipfel abhält.

Übrigens nur ein paar Meter unter dem Privatbungalow von Ludwig Erhard. Generell glaube ich, dass die absurden Preise bei uns bezahlt werden, weil der See – es gibt hier nur den einen – genau so agfacolorig aussieht, als wäre mit der Kanzlerschaft Erhards die Zeit stehengeblieben. Also 1966. Zwei Jahre, bevor 68 losging und alle Probleme der Moderne. Wie auch immer, hier trifft sich also das, was man in den 90ern vielleicht als Mover und Shaker der Republik bezeichnet hätte, weil Herr Weimer sehr charmant sein soll. Und sie alle bekommt. Natürlich auch die Grünen! Nur die Linke, das BSW und die AfD lässt er bei seinem Gipfel als offene Plattform der breiten Mitte außen vor. Sowie natürlich alle, die nicht ganz geringe Eintrittspreise nicht bezahlen wollen. Eine gewisse Exklusivität bleibt damit gewahrt, die Atmosphäre soll diskret und freundschaftlich sein, und so fernab von Berlin und den Stäben lässt es sich am See ganz anders reden. Austausch statt Konfrontation, Verständigung statt Zwist, Nachdenken statt Vorwürfe: So sieht man sich dort gern. Generell muss es für einen Minister nichts Schlechtes sein, wenn man schon einmal bewiesen hat, dass man so eine Veranstaltung mit vielen Akteuren erfolgreich managen kann. Und ohne auf Leergut angewiesen zu sein.

So ist unsere Sicht am schönen Tegernsee, wo es die Tretboote wahlweise als Porsche oder Ferrari gibt und Ludwig Erhard zur vorzeigbaren Prominenz gehört. Wir haben auch nicht vorzeigbare Prominenz, Heinrich Himmler etwa, oder Hitlers Vermögensverwalter Amann, der „Röhm-Putsch“ war in Wiessee, und die Friedhöfe in Kreuth und Rottach sind voll mit Nazigenerälen. Das Problem beginnt, wie immer in Deutschland, mit der abweichenden Sicht in Restdeutschland: Dort arbeitet man sich seit Jahren an Erhard und seiner Rolle unter den Nazis ab, bringt ihn mit Verbrechen in Verbindung und lehnt mittlerweile jede Vorbildfunktion ab. Die Erhardbeschimpfung gehört zu den Ritualen linker Kreise, die es nicht verwinden, dass der Sozialismus verloren hat, die Freunde üble Judenhasser sind und die Methoden bis heute aus den Schreckenskammern totalitärer Regimes stammen. Praktischerweise kann sich Erhard in seinem Grab – fantastisch gelegen mit Traumblick über den See – nicht mehr wehren, und seit jeher zeichnet sich die deutsche Kultur- und Medienszene als Sophie Scholl vom Dienst gegen Tote und in von anderen geschlagenen Schlachten aus. Insofern war ich auch nicht überrascht, als Anton Rainer vom „Spiegel“ schrieb, man habe die Doktorarbeit des Veranstalters des Erhard-Gipfels und neuen Kulturministers Weimer schon auf Plagiate überprüft – allerdings ergebnislos.

Dem Ganzen vorausgegangen war gleich nach dem Bekanntwerden der Berufung ein höchst ungewöhnlicher Artikel in der FAZ. Sie wissen wahrscheinlich, diese Stützen der Gesellschaft hier stammen ursprünglich vom FAZ-Feuilleton unter Frank Schirrmacher, und dort gab es so eine Art Omerta, an die ich mich bis heute gebunden fühle. Ich kann Ihnen aber sagen, dass man dort früher über ehemalige Mitarbeiter des Hauses geschwiegen hätte, wenn sie einem nicht behagten – zumal Schirrmacher ebenfalls ein äußerst charmanter Netzwerkbauer war. Zumindest hätte sich Schirrmacher aber nicht zu einem Text herabgelassen, wie ihn sein Nachfolger Jürgen Kaube nun über den früheren FAZ-Autor Weimer verfasst hat: Der sei „der falsche Mann am falschen Platz“. Und zwar in diesem typischen „Es steht in der FpunktApunktZpunkt, also ist es gebildet, geprüft und ewig wahr“-Stil, der mich damals in seiner Arroganz so genervt hat, dass ich ab und zu Eingangszitate frei erfunden habe (Das dort oben stimmt aber). Wenn es in den ideologischen Kram passt, wirkt dieser Stil aber immer noch auf viele überzeugend, und so nahm ein Shitstorm seinen Anfang, in dem – wenig überraschend – die gleichen Gesichter*Innen auftauchten, die schon den geplanten „Titel Thesen Temperamente“-Moderator Mischke zu Fall gebracht hatten. Mit Petition und publicityfreudigem Erstunterzeichner.

Da sieht man recht schön die Unterschiede zwischen der erhofften kulturellen Hegemonie des woken Glaubens in Deutschland und dem abseits lebenden Rest. Bei uns am See und vermutlich auch sonst gilt Weimer als Vermittler zwischen Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft – vielleicht etwas konservativ und selbstbewusst, aber weltgewandt und keiner aus der rechten Ecke, die wir hier auch haben. Man soll doch froh sein, wenn jemand erfolgreich etwas auf die Beine stellt. Der kulturelle Betrieb dagegen stellt ihn neben einen Kopfsalat in der Hoffnung, er werde weniger lang im Amt halten, und ein möglicher Giftverabreicher fällt seinen Feinden auch schon ein. Das ist eigentlich ganz erstaunlich für ein Amt mit sehr begrenzter Wirkung: Kultur und Kulturetats sind vor allem Sache von Ländern und Gemeinden, die sich vom Bund nichts vorschreiben lassen müssen. Weimers Amt ist notwendig für die beim Bund verbliebenen Restbestände und einige Zusatzaufgaben, die beim Bund bleiben: Filmförderung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Deutsche Welle, Bundesarchiv, Villa Massimo. Seit der Einführung des Postens war er meistens im Schatten der großen Politik, die Staatsminister waren mal blass wie Frau Grütters und mal konziliant wie Herr Nida-Rümelin.

Ideologisch aufgeladen wurde das Amt erst mit der letzten Chefin Claudia Roth von den Grünen. Für die Woken des Intersektionalismus, die den Kulturbereich seit jeher als eigene Domäne, um nicht zu sagen Trog betrachteten, war die Staatsministerin mit ihrem klar linken Profil und Verständnis für linke Israelkritik eine ideale Wahl. Für viele andere dagegen entstand – nicht immer durch direkte Schuld von Frau Roth, aber doch in Zusammenhang mit ihrem Wirken – der Eindruck, sie sei nicht die richtige Frau an der richtigen Stelle. So wie bei uns am Tegernsee das Böllerschießen zu jeder Prozession gehört, gehört bei den Linken der totale Bruch über Judentum und Antisemitismus zur Traditionspflege der gut gemeinten Herrschaftspraxis. Schon beim Skandal rund um antisemitische Bilder bei der Documenta agierte Roth so glücklos und unentschlossen, dass die „Jüdische Allgemeine“ ihren Rücktritt forderte. Spätestens nach ihrem Klatschen zu israelfeindlichen Aussagen bei der Berlinale wurde Roth zur Belastung für die Regierung. Roth’sche Ideen wie die Aufführung von „Hänsel und Gretel“ im Festspielhaus von Bayreuth waren auch eher – wie sagt man das höflich – interessant. Für die erkennbar anwachsende Welle des linken Antisemitismus mit seinen Hörsaalbesetzungen und Islamistenaufmärschen war Roth dennoch nicht woke genug, weshalb sich dann eine ganze Boykottbewegung mit internationaler Prominenz wie Judith Butler gründete. Sachen haben die da in Berlin, das kann man sich bei uns am Tegernsee gar nicht vorstellen.

Für glasklare Ansagen, brutale Konsequenzen und rote Linien gegenüber dem neuen Antisemitismus hat es bei Roth nicht gereicht – vermutlich, weil die Bewegung im urbanen Kulturbetrieb einfach zu stark geworden ist. Im Hass auf den Westen und Kolonialismus arbeitet man sich zusammen mit Islamisten an Israel ab, und es gibt keine Haltung, die allen Seiten auch nur ansatzweise behagen könnte. Man muss sich entscheiden, und genau das hat Weimer jetzt über die Klagen der Hamasversteher hinweg getan, indem er als erste Handlung Claudia Roths Intimus Görgen entließ und sich mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden traf. Man kann diesen Weg Kulturkampf nennen. Oder konservative Verengung. Und natürlich steht das auch der von vielen Selbstüberschätzern als unabdingbar gehaltenen Vernetzung von Weimer mit weiten Teilen des Kulturbetriebs im Weg.

Nur ist das ganz sicher nichts, was man am Tegernsee als nachteilig empfinden würde. Wissen Sie, früher galten all die Schauspieler und Künstler, die zu uns kamen, von Thomas Mann bis August Macke, von Joseph Stieler bis Leo Slezak, von Bert Brecht bis Gunter Sachs in den Tagen am See als ausgesprochen nette und auskömmliche Leute. Sogar der Jungsozialist Brecht hatte hier mehr Mädchen und Wohlleben im Kopf. Am Tegernsee ist man nicht, um brutale Gefechte bis zur letzten Patrone zu führen. Man orientiert sich an dem, was schicklich ist, und versucht, damit gut auszukommen. Wenn dabei randalierende Palästinenser und ihre deutschen Helfer hinten runterfallen, wenn sich Kulturbetriebler so lange dem Boykott hingeben, bis sie Flaschen sammeln müssen, wenn Radikale, die vier Wörter nacheinander setzen können, keine Lesungen und Buchmessen stören, ist das durchaus erfreulich, ohne dass man von Kulturkampf sprechen müsste. Welche Kultur soll das sein? Wolfram Weimer hat gleich am ersten Tag gezeigt, wo seine roten Linien sind. Jenseits der Berliner Ringbahn sind das gern akzeptierte, längst bekannte und durchaus geschätzte Grenzen. Es sind Selbstverständlichkeiten. Kulturkampf ist, was diese Grenzen absichtlich in Frage stellt und bekriegt. Natürlich wird das jetzt kommen.

Aber angesichts der Politprominenz, die sich mit Weimer am See mit Selfies und Blick auf den Wallberg verewigt hat, ist das vielleicht nicht der klügste Ansatz. Weimer hat seine Netzwerke schon etwas länger entwickelt, und dem aufmerksamen Beobachter könnte es auffallen, dass Klagen über seine ersten Schritte seitens der grünen Parteispitzen kaum hörbar waren. Die innige Liebe dieser Kulturszene zur Kontaktschuld, für die man nie rein genug sein kann, ist alles andere als einfach für linke Adabeis, die auch mal in den bequemen Sesseln von Kaltenbrunn ihre Sicht der Welt vor der Wirtschaftselite erklären wollten. Also vor Leuten, für die Kultur der Auftrag an einen Experten ist, mit einer einstelligen Millionensumme ein wenig Dekoration für Mitarbeiterbüros zu beschaffen. Oder vor Leuten, die alle zwei Monate im Beirat einer Kulturstiftung sitzen. So war das früher beim Founders Forum, falls es jemand noch kennt, so geht das immer weiter, und Friedrich Merz hat sich nun mal für einen Organisator entschieden, der es versteht, die breite Mitte hinter sich zu bringen. Wer dagegen ankämpft, wird auch gegen jene breiten Sessel in Kaltenbrunn kämpfen, auf dem die Mitte unsererDemokratie™ gern Platz nimmt.

Weit weg, in Berlin, dachten manche, ein paar aus dem Kontext gerissene Zitate, eine Petition mit 70.000 Kulturleuten, die kaum jemand kennt, und ein Artikel in der FAZ könnten etwas bewegen. Stattdessen wird jetzt Claudia Roths Debakel abgeräumt, und das alles ohne Gegenwehr ihrer Partei. So geht das. Bei uns am schönen Tegernsee. Und der Rest des Landes könnte vor dem nächsten Kulturkampfgeschrei kurz innehalten und sich fragen, was sie bei so einem Konflikt zu gewinnen haben. Denn eine neue Claudia Roth wird nicht kommen.

Und wenn der Kulturkampfbetrieb nicht mehr so anstrengend selbstgerecht ist, kann man vielleicht sogar wieder Theater und Literaturhäuser haben, die mehr als zehn Prozent ihrer Einnahmen selbst erwirtschaften, weil wieder mehr echte Kulturliebhaber anstelle von Randalefreunden und Presseschnorrer kommen und tatsächlich Karten kaufen.