Main-Spitze, Rüsselsheimer Echo vom 23.05.2025 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Rüsselsheim)
Rubrik im PS: | Rhein-Main |
Autor: | Daniel Baczyk |
Auflage: | 3.581 |
Reichweite: | 8.344 |
Ressort: | Lokales |
"Das kostet hier Arbeitsplätze"
Viele Firmen im Einzugsbereich der B45 sehen sich betroffen von den Folgen der Odenwald-Brückensperrung
SÜDHESSEN. "Wie eine Naturkatastrophe", so beschreibt es Stephan Koziol, hat die Sperrung der Zeller Brücke aus heiterem Himmel die Menschen im Odenwald getroffen - und nicht zuletzt auch die wirtschaftliche Tätigkeit im Einzugsbereich der betroffenen Bundesstraße 45. Der Geschäftsführer des in Erbach ansässigen Fachartikel-Versandhandelsunternehmens Koziol ist hörbar angefasst von den zu erwartenden Auswirkungen der Sperrung, aber auch vom Umgang der regionalen Politik mit der jähen Kappung der Straßen- und Bahnverbindungen. "Das kostet hier Arbeitsplätze", sagt Koziol voraus, "und zwar richtig."
Koziol vertreibt von Erbach aus nicht nur Werbemittel und Artikel für den Facheinzelhandel, das inhabergeführte Familienunternehmen hat in der Kreisstadt auch seine Produktionsstätte. "Wir brauchen Rohmaterial, und alles, was wir produzieren, muss wieder raus", sagt der Geschäftsführer. Durchschnittlich zehn Lkw-Fahrten pro Tag sind dafür erforderlich; ein Großteil des Lieferverkehrs erfolgt in Nordrichtung, die nun mit langen Umleitungen und Staus verbunden ist. Koziol unterhält keinen eigenen Fuhrpark.
"Die ersten Speditionen haben uns nun gesagt: Wir fahren euch nicht mehr an", berichtet Stephan Koziol. "Andere wollen wegen der verlängerten Fahrzeit 100 Euro mehr pro Fahrt berechnen." Den zu erwartenden finanziellen Schaden für seine Firma kalkuliert er derzeit grob auf 100.000 bis 300.000 Euro im Jahr.
Klage über fehlende Informationen
Hart getroffen sind auch etliche der etwa 200 Koziol-Mitarbeiter, die wegen der neuen Verkehrslage - "ein einziges Chaos", sagt der Chef - viel mehr Zeit für den Arbeitsweg benötigen. Und was den Ausbau des Berufsschulzentrums in Michelstadt angeht: "Das wird alles zum Stillstand bringen. Wie sollen denn die Schüler hier herkommen?" Die etwas später erfolgte Stilllegung der Bahnstrecke wertet Koziol als weiteren harten Schlag. Er selbst, aber auch viele Geschäftspartner hätten die Bahnverbindung gern genutzt. "Wer will den jetzt hier investieren?", fragt er. Und nennt als erste Priorität aus seiner Sicht den raschen Abriss der maroden Brücke, um wenigstens die Gleise wieder freigeben zu können.
Sehr unzufrieden zeigt sich Stephan Koziol mit der Informationspolitik der Behörden seit der Sperrung. Man erfahre nichts. Der Landrat habe sich bislang auch nicht gemeldet. Bei der Kommunikation rund um das Verkehrsdesaster sieht der Unternehmer großen Verbesserungsbedarf.
In anderen Unternehmen im Odenwald werden die Auswirkungen der Sperrung weniger dramatisch empfunden. So kämen alle Mitarbeiter des Michelstädter Verpackungsdienstleisters Relopack aus Michelstadt, Erbach oder der näheren Umgebung, sagt auf Anfrage Geschäftsführer Reiner Neff. Ihr Arbeitsweg sei daher kaum betroffen - ebenso wie der Warenverkehr, der größtenteils in südlicher Richtung erfolge.
"Die Sperrung der Bundesstraße 45 hat keine Auswirkungen auf die geschäftlichen Abläufe von Pirelli in Breuberg", teilt auch der Reifenhersteller auf Anfrage mit. "Transporte werden über alternative Routen zuverlässig abgewickelt."
Doch unterm Strich sind drei Viertel der Unternehmen im Einzugsgebiet der B45 von der Sperrung der Zeller Brücke betroffen. Das ergab eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage der IHK Darmstadt unter rund 2400 Firmen. Das Ergebnis zeige die Bedeutung der Brücke für den Verkehr im Odenwald, so die IHK. Sie fordert einen "Neubau in Rekordzeit", denn: "Von unter 1000 bis zu 20.000 Euro Umsatzverlust pro Woche gehen Unternehmen aus."
"Die B45 ist die Lebensader, aber leider auch die Achillesferse des Odenwaldkreises", erklärt Daniel Theobald, IHK-Geschäftsbereichsleiter für Unternehmen und Standort. "Wir können uns beim Neubau der Brücke keinen Tag Verzögerung leisten." Laut der Umfrage sind 73 Prozent der regionalen Unternehmen von der Sperrung betroffen, fast die Hälfte (45 Prozent) sogar stark oder sehr stark. 57 Prozent der Betriebe klagen über Probleme mit der Logistik, 45 Prozent geben an, dass sie nur noch schwer von Kunden zu erreichen sind. Befragt wurden Unternehmen aus Kommunen im Einzugsgebiet der B45, dazu zählt die IHK Groß-Umstadt, Otzberg, Bad König, Breuberg, Brombachtal, Erbach, Höchst, Michelstadt, Mossautal und Oberzent.
Längere Anfahrt für viele Arbeitnehmer
"Für viele Unternehmen wird das wirtschaftlich eng, wenn massive Umsatzverluste drohen", erklärt Theobald. "Kunden, die verloren gehen, sind nur sehr schwer zurückzugewinnen. Noch sind die tatsächlichen wirtschaftlichen Schäden für die allermeisten befragten Unternehmen schwer abzuschätzen und gehen weit auseinander."
Auch die Attraktivität der Arbeitgeber in der Region leidet unter der erschwerten Erreichbarkeit. Die Hälfte der Beschäftigten hat durch die Sperrung der Brücke eine 15 bis 30 Minuten längere Anfahrt als bisher. Ein Viertel braucht sogar 30 bis 60 Minuten länger zum Arbeitsplatz.
"Alles, was an Bürokratieabbau und Vereinfachungen auf Bundes- und Landesebene zuletzt versprochen wurde, muss beim Neubau der Brücke eingelöst werden", betont der IHK-Mobilitätsexperte. Zunächst müsse die Brücke schnellstmöglich abgerissen werden, damit der Pendlerverkehr über die Odenwaldbahn wieder im Normalbetrieb abgewickelt werden kann. Ferner fordert die IHK Darmstadt ein weitgreifendes Informationsmanagement und Verkehrsleitsystem. "Es braucht jetzt einen belastbaren Gesamtfahrplan der Baumaßnahme, damit alle wissen, worauf sie sich einstellen müssen und wie es weitergeht", erklärt Theobald.
Von 2416 angeschriebenen Unternehmen haben nach IHK-Angaben 512 Betriebe geantwortet. Das entspricht einer überdurchschnittlichen Rücklaufquote von 21,2 Prozent.