Kurier, Bundesländerausgabe vom 16.05.2025, S. 24 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Wien)
Rubrik im PS: | Naturwissenschaften / Medizin |
Autor: | Ernst Mauritz |
Auflage: | 13.827 |
Reichweite: | 50.745 |
Ressort: | Ges |
Quellrubrik: | Abend, Bgld, Länder, Länder2, N.Ö., Wi |
Die Erwartung an eine Therapie beeinflusst Schmerzempfinden
Nocebo versus Placebo. Eine negative Erwartungshaltung zu einer Behandlung hat mehr Auswirkungen als eine positive.
Der Glaube kann Berge versetzen – in der Medizin kann der Glaube an die Wirksamkeit einer Therapie Mechanismen im Körper aktivieren, die den Erfolg einer Behandlung verstärken. "Man kann dies auch als eine Art ,körpereigene Apotheke‘ beschreiben", so das Team des deutschen Forschungsverbundes "Treatment Expectation" ("Behandlungserwartung").
"Mit bildgebenden Verfahren lässt sich zeigen, dass dabei bestimmte Areale im Gehirn – z. B. schmerzlindernde Systeme – aktiviert werden." Was Patientinnen und Patienten von einer Schmerztherapie erwarten, beeinflusst, wie stark sie den Schmerz nach der Durchführung einer Therapie empfinden. Jetzt ergab eine Studie der Uni Duisburg-Essen: Eine negative Erwartung, was den Effekt einer Therapie betrifft, hat stärkeren und anhaltenderen Einfluss auf das Schmerzempfinden als eine positive Erwartung.
104 gesunde Freiwillige wurden jeweils 20 Sekunden langen Hitzereizen ausgesetzt. Eine – scheinbare – viersekündige Nervenstimulation vorab sollte die Schmerzintensität beeinflussen, wurde den Teilnehmenden gesagt (tatsächlich war sie wirkungslos). Eine niedrige Frequenz sollte die Schmerzen lindern, eine hohe verstärken und eine dritte neutrale Frequenz nicht beeinflussen, wurde den Probanden vermittelt. Anschließend mussten sie die Intensität der Schmerzreize (Skala von 0 bis 100) bewerten.
Macht der Kommunikation
Im Durchschnitt bewerteten die Teilnehmenden die Schmerzintensität bei einer negativen Erwartung zum Effekt der Nervenstimulation um rund elf Prozent höher als bei der angeblich neutralen Frequenz.
Eine positive Erwartung hingegen verringerte die Bewertung der Schmerzintensität nur um circa vier Punkte. Der Effekt der negativen Erwartung war also doppelt so groß wie jener der positiven.
Eine Woche später wurde das Experiment wiederholt: Wiederum war der Effekt negativer Erwartungen ("Nocebo-Effekt") doppelt so groß wie der Effekt positiver Erwartungen ("Placebo-Effekt").
Eine Rolle spielt das aber nicht nur bei solchen Experimenten mit Scheintherapien, sondern auch bei Behandlungen mit wirksamen Therapien: "Im Alltag konzentrieren wir uns oft darauf, positive Erwartungen zu fördern. Unsere Studie zeigt jedoch, dass es mindestens genauso wichtig ist, unbeabsichtigte negative Erwartungen zu vermeiden", sagt Studienleiterin Ulrike Bingel, Leiterin des interdisziplinären Zentrums für Schmerzmedizin am Uni-Klinikum Essen. Angehörige von Gesundheitsberufen sollten sich bewusst sein, dass die Art und Weise, wie sie über Behandlungen informieren, die Reaktion der Patientinnen und Patienten darauf stark beeinflussen kann – im positiven wie im negativen Sinne.
Alleine die Erwartung eines Patienten, dass die Einnahme eines Medikaments seine Schmerzen lindern wird, führt in dessen Gehirn zur Ausschüttung schmerzlindernder Substanzen, körpereigener Opioide. Diese können die Weiterleitung des Schmerzreizes im Rückenmark verändern – und die Schmerzen lassen nach.