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Wirtschaftswoche vom 14.02.2025, S. 28-30 (Publikumszeitschrift / Freitag, Düsseldorf)

        
Rubrik im PS:Print
Autor:Text Christian Ramthun, Tobias Gürtler
Auflage:97.518
Reichweite:570.080
Quellrubrik:Politik & Weltwirtschaft

Umsteuern, jetzt!?

Deutschland ist Höchststeuerland. Viele Unternehmer klagen nicht mehr, sie flüchten bereits. Die Union will nach der Wahl handeln. Doch es gibt Hürden

Gegen die wirtschaftliche Vernunft hat es ebm-papst noch einmal getan. Im Herbst eröffnete der Weltmarktführer für Ventilatoren ein neues Werk. 60 Millionen Euro investierte die Firma – im Nordosten Baden-Württembergs. Ohne Heimatverbundenheit jedoch wäre die Standortwahl womöglich anders ausgefallen, gesteht CEO Klaus Geißdörfer: "Wie komme ich sonst überhaupt auf die Idee, in Deutschland zu investieren?" Was für ein Satz.

Der finanzielle Einsatz müsse sich am Ende lohnen. Eine Binse, natürlich, aber eben auch eine bittere Wahrheit, die Geißdörfer beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer vorige Woche in Schwäbisch Hall aussprach. Es lohnt sich eben in der Bundesrepublik oft nicht mehr. Rund 800 Mittelständler kamen auf Einladung der WirtschaftsWoche, voller Energie und – Sorgen. Kein Herumdrucksen mehr, die Lage ist mittlerweile zu ernst. "Von unseren großen Standorten ist Deutschland der teuerste", sagt der ebm-papst- Chef. Sehr hohe Löhne, zu wenig Einsatz, sehr hohe Energiekosten und "dann auch noch sehr hohe Unternehmenssteuern", zählt Geißdörfer auf.

Die Stimmung unter Deutschlands Unternehmern ist angespannter denn je. Auch wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) es sehr lange nicht wahrhaben wollte. "Die Klage ist des Kaufmanns liebstes Lied", mokierte er sich oft. Bis es zu spät war.

Inzwischen gehen diese Unternehmer sogar auf die Straße, was bislang undenkbar schien. Rund 1000 protestierten Ende Januar am Brandenburger Tor in Berlin. Mehr als 140 Wirtschaftsverbände beteiligten sich, vom Bau übers Gaststätten -gewerbe bis zur Stahlbranche.

Ihre Liste der Standortnachteile wird angeführt von Bürokratie (64 Prozent) und Steuerbelastung (59), ergab eine Civey-Umfrage unter 500 Unternehmern im Auftrag der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Ein weiteres Ergebnis: Nur noch jeder achte plant Investitionen in Deutschland, fast jeder vierte will Stellen abbauen.

Die Bundestagswahl könnte damit zur Schicksalswahl werden. "#WachstumWählen" überschreibt der BDI seine Forderungen für den 23. Februar. Im Fokus des Industrieverbandes stehen, wenig überraschend, Steuern. Denn Hoffnung auf spürbaren Rückbau der Regularien haben viele bereits aufgegeben.

Steuern senken wollen alle Parteien. Allerdings höchst unterschiedlich. SPD und Grüne legen ihren Fokus auf eine niedrigere Einkommensteuer für untere Lohngruppen und eine Investitionsprämie. Union und FDP drängen dagegen auf eine flächendeckende Entlastung von Unternehmen und Erwerbstätigen. Das birgt Konfliktstoff für die Koalitionsgespräche.

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Das weiß auch Friedrich Merz. Beim Weltmarktführertreffen in Schwäbisch Hall ist der wohl nächste Bundeskanzler via Schalte auf Monitoren zu sehen. Die Unternehmer lauschen. Merz verspricht, die Steuer bei Kapitalgesellschaften von 30 auf 25 Prozent zu senken. "Amerika wird jetzt auf 15 Prozent runtergehen. Das werden wir nicht schaffen. Aber eine Absenkung um fünf Prozentpunkte wäre ein erster Schritt." Dankbarer Szenenapplaus.

Viele Unternehmer sind später angetan, wie tief der Unionskandidat im Thema steckt. Merz spricht von einer Entlastung für thesaurierende wie für ausgeschüttete Gewinne. Auch von einer Reform der Gewerbesteuer, die in "ihrer heutigen Form mit den Hinzuberechnungen von Mieten, Leasingraten und Pachten" nicht zukunftsfähig sei.

SONST FEHLT NOCH MEHR GELD

Den Einwand, allein die Senkung der Körperschaftsteuer reiße ein Loch von 20 Milliarden Euro in die Staatskasse, kontert Merz: "Aber wenn wir bei 30 Prozent bleiben und die Wirtschaft immer weiter schrumpft, fehlen am Ende noch mehr Milliarden." Dann lieber zeitweilige Ausfälle, die aber zu einem wirtschaftlichen Aufschwung beitragen.

Anhaltender Applaus in Schwäbisch Hall.

Und was für ein Kontrast zu dem Mann, der Merz nur sehr ungern Platz machen würde: Olaf Scholz. Weder als Kanzler noch als Finanzminister kümmerte sich dieser um die Wirtschaft, sagt Fritz Güntzler. Der 58-Jährige ist Steuerberater, sitzt seit 2013 für die CDU im Bundestag und ist als Fachmann so anerkannt, dass ihn sogar sozialdemokratische und grüne Abgeordnete in persönlichen Steuerfragen um Rat bitten.

Abbildung: Merz beim Weltmarktführergipfel im Gespräch mit WiWo-Vizechefin Maja Brankovic
FOTO: WIRTSCHAFTSWOCHE/FOTO VOGT GMBH

Güntzler hatte 2019 zusammen mit seinem CSU-Kollegen Sebastian Brehm eine Unternehmenssteuerreform für die Unionsfraktion entwickelt. Intern nannte man sie die "BeeGees", wegen ihrer Nachnamen. Ihre beste Nummer steht heute im Wahlprogramm von Merz, etwa die Senkung der Steuerlast auf 25 Prozent.

Doch damals fiel die Reform beim Koalitionspartner SPD und seinem Finanzminister glatt durch. "Es gab null Gesprächsbereitschaft bei Scholz", ärgert sich Güntzler: "Wir haben dadurch sechs Jahre verloren." In dieser Zeit wurde Deutschland in internationalen Standort -rankings nach hinten durchgereicht. Dabei, sagt Güntzler, "hätten wir damals die Steuern senken und dabei die Schuldenbremse einhalten können".

Die große Frage lautet nun: Kann sich wenigstens die nächste Koalition auf eine umfassende Steuerreform verständigen? Oder, noch grundsätzlicher: Ist überhaupt eine Regierungsbildung möglich? Merz’ forsches Vorgehen in der Migrationsfrage hat zwischen Union, SPD und Grüne einen tiefen Graben gerissen Jetzt sorgen sich Unionspolitiker vom Wirtschaftsflügel, dass eine harte Asylpolitik plus unternehmensfreundliche Steuerpolitik alle potenziellen Koalitionspartner überfordern könnte. Am Ende der Regierungsverhand lungen drohe eines ihrer beiden Kernanliegen auf der Strecke zu bleiben. Womöglich die steuerliche Entlastung der Unternehmen. Wieder einmal.

SPD -Kandidat Scholz macht jedenfalls eher Wahlkampf gegen statt für die Wirtschaft. Bei Auftritten trägt er stets zwei Keulen mit sich für den verbalen Schlagabtausch. Auf der einen steht "Dax-Vorstand". Auf der anderen "Schuldenbremse".

"Wer wie ein Dax-Vorstand 3,5 Millionen verdient, der soll mehr Steuern zahlen", sagte Scholz etwa beim TV-Duell am Sonntag, um Merz’ Forderung nach einer niedrigeren Einkommensteuer zu diskreditieren. Dass vor allem Hunderttausende Personengesellschaften und Selbstständige profitieren würden und nicht nur eine Handvoll Konzernvorstände – ist Scholz doch egal. Mit dem Vorstand-Argument hatte Scholz vor einem Jahr bereits die Forderung seines damaligen Finanzministers Christian Lindner (FDP) abgebügelt, den Solidaritätszuschlag komplett abzuschaffen.

Auch die Schuldenbremse führt der SPD -Kanzlerkandidat gegen Union und FDP ins Feld. Sie verbiete Steuersenkungen, da diese ein (noch) größeres Loch in den Staatshaushalt reißen würden.

Das Argument immerhin ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft kommt auf riesige Zahlen, die kurzfristig kaum durch höheres Wirtschaftswachstum ausgleichbar wären. Die Pläne von CDU/CSU würden Unternehmen und Bürger um 89 Milliarden Euro entlasten, bei der FDP wären es sogar 138 Milliarden. Bei der SPD dagegen nur 30 Milliarden und bei den Grünen 48 Milliarden; größter Brocken wäre hier die Investitionsprämie. Union und FDP lehnen diese allerdings ab. Ihre Kritik: Nur eine weitere Subvention, die am grundsätzlichen Standortproblem nichts ändern würde.

DAS TOR ZUR HÖLLE MAL ANDERS

Eine Demontage der Schuldenbremse wollen CDU und CSU gleichwohl vermeiden. Für stabilitätsorientierte Unionisten wäre dann, nun ja, ihr Tor zur Hölle offen – durch das in diesem Fall Genossen und Grüne mit noch höheren Sozialausgaben fröhlich marschieren würden.

Für Merz kommt eine Lockerung nur als letztes Mittel infrage: nach Sparen bei Sozialem, Priorisieren der Ausgaben für Verteidigung und Investitionen sowie nach Wachstumsanreizen. Dafür ist der Kanzlerkandidat, wie er in Schwäbisch Hall betonte, auch bereit, die Körperschaftsteuer nicht in einem großen Schritt, sondern trippelweise zu senken.

Mehr Wachstum könnte dann schrittweise Einnahmeausfälle kompensieren, ergänzt CDU-Steuerberater Güntzler: "Und vergessen Sie bitte nicht den psychologischen Effekt." Allein das Versprechen wettbewerbsfähiger 25 Prozent dürfte Unternehmen wieder Lust auf Investitionen machen, hofft er. In Deutschland.

25 PROZENT Steuersatz für Unternehmen ist die Marke, die Friedrich Merz anpeilt