Herausforderungen der Globalisierung

Handelsblatt vom 02.06.2025, S. 6-7 (Tageszeitung / täglich außer Samstag und Sonntag, Düsseldorf)

        
Rubrik im PS:Herausforderungen der Globalisierung
Autor:Daniel Delhaes, Moritz Koch, Annett Meiritz Berlin, Washington
Auflage:133.226
Reichweite:505.864
Quellrubrik:Politik

Besuch bei Trump

Merz auf heikler Mission in Washington

Der Bundeskanzler reist in die USA. Wird er hofiert oder bloßgestellt? Treffen mit Trump sind unkalkulierbar, aber Merz bringt Argumente mit, die dem US-Präsidenten gefallen dürften.

Friedrich Merz hat sich intensiv auf seinen Besuch in Washington vorbereitet, vier Mal schon hat er mit Donald Trump telefoniert – und sehr genau zugehört. Jedes zweite, dritte Wort von Trump sei "great", witzelte der Kanzler vergangene Woche auf einer Europatagung. Merz weiß aber auch: Was Trump nicht "great" findet, ist schnell "very, very bad" – und dann wird es unangenehm.

Ein Besuch im Weißen Haus ist ein hochriskantes Unterfangen. Harmonisches Tête-à-Tête oder diplomatischer Eklat, beides ist möglich. Gerade für den Kanzler steht viel auf dem Spiel. Wenn Merz am Donnerstag von Trump empfangen wird, ist sein wichtigstes Ziel: den US-Präsidenten davon zu überzeugen, den Druck auf Russland zu erhöhen – und die Politik der Äquidistanz zu Kiew und Moskau zu beenden.

Die Europäer hoffen darauf, die USA wieder auf ihre Seite ziehen zu können. Neue, abgestimmte Sanktionen gegen Russland sollen Kremlherrscher Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zwingen und einen Waffenstillstand in der Ukraine ermöglichen. Die militärische Lage ist aus Sicht der Ukraine zunehmend kritisch. Am Wochenende gelang es der Ukraine, vier russische Militärflughäfen zu attackieren. Nach ukrainischer Darstellung wurden über 40 russische Kampf- und Aufklärungsflugzeuge zerstört.

Im Zentrum der Gespräche stehen außerdem wirtschaftliche Themen. Der Handelsstreit mit den USA, ausgelöst durch Trumps Zollpolitik, hat sich zuletzt wieder verschärft. "Wir brauchen schleunigst Erfolg in Handelsfragen", hieß es am Wochenende in Regierungskreisen. So dürfte Merz für ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa werben.

Tipps für das Trump-Management sammelte Merz auch während des Besuchs beim finnischen Präsidenten Alexander Stubb und in einem Telefonat mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa. Stubb ist es gelungen, Trump um den Finger zu wickeln. Ramaphosa verstand sich darauf, Attacken des Amerikaners zu parieren – ohne Eskalation wie beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Februar.

Grundsätzlich ist der Optimismus in Regierungskreisen groß. Merz habe "gute Karten", da Trump den neuen "Führungstyp" in Deutschland begrüße und sehe, dass das Land wieder die Führungsrolle in Europa beanspruche. Trump sei inzwischen sogar "sehr deutschlandfreundlich" und betone seine deutschen Wurzeln ("german blood"). Beide duzen sich inzwischen, haben Mobilfunknummern ausgetauscht und schreiben sich Kurznachrichten. Die Chance, dass Trump das Treffen mit Merz am Ende als "great" preist, ist erstaunlich gut. Trump wird den Kanzler im Gästehaus des Präsidenten, dem Blair House neben dem Weißen Haus, übernachten lassen – eine besondere Ehre, die womöglich auch mit den ersten politischen Weichenstellungen der Merz-Regierung zusammenhängen.

Die schrillen Vorwürfe der US-Regierung wegen der vermeintlichen Internetzensur in Europa und der Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz, die die Schlagzeilen bestimmten, verdecken, dass die großen Vorhaben der Merz-Regierung im Trump-Lager ausgesprochen gut ankommen. Der Kanzler hat sich dazu bekannt, perspektivisch fünf Prozent der Wirtschaftskraft in die Verteidigung zu investieren. 3,5 Prozent sollen direkt in die Verteidigung fließen, weitere 1,5 Prozent in die Infrastruktur. Deutschland ist Drehscheibe der Nato, da müssen im Bündnisfall an der Ostflanke Straßen, Brücken, Schienenwege, See-und Flughäfen funktionieren. Mit den neuerlichen Zusagen würde Merz das beenden, was Trump als sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei anprangert.

Auch dass Merz mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel bricht, hat sich in Washington herumgesprochen. Die Altkanzlerin ist eine "Persona non grata" im Trump-Kosmos.

Regierungsvertreter setzen deshalb einige Hoffnung darauf, dass Trump doch noch davon abgehalten werden kann, sich aus den Waffenstillstandsgesprächen zurückzuziehen. "Der US-Kongress ist bereit für neue Russlandsanktionen", sagte der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) vergangene Woche, als er sich mit seinem amerikanischen Amtskollegen Marco Rubio traf. Ein Gesetz, das die bisher aggressivsten Sanktionen gegen Russland vorsieht, könnte bereits in dieser Woche im Kongress zur Abstimmung gestellt werden. Der Anfang April im US-Senat eingebrachte "Sanctioning Russia Act of 2025" sieht weitreichende wirtschaftliche Strafmaßnahmen vor. Neu ist, dass auch jene Länder sanktioniert werden sollen, die den Krieg gegen die Ukraine durch Energieimporte indirekt unterstützen.

Der überparteiliche Entwurf wurde von den Senatoren Lindsey Graham (Republikaner) und Richard Blumenthal (Demokrat) initiiert. Das Ziel besteht darin, Russland durch direkte sowie erstmals auch sehr harte sekundäre Sanktionen wirtschaftlich zu isolieren. Im Zentrum stehen US-Strafzölle in Höhe von 500 Prozent auf alle Importe aus Ländern, die wissentlich russisches Öl, Erdgas, Uran oder petrochemische Produkte beziehen.

Der Trump-Vertraute Graham ist eine Schlüsselfigur für die weitere amerikanische Unterstützung der Ukraine. Einerseits hat er bei vielen Fragen das Ohr von Trump, andererseits pflegt er enge transatlantische Kontakte. So fliegt er regelmäßig in die Ukraine. Graham war anwesend, als sich Wadephul vergangene Woche mit Rubio zu vertraulichen Gesprächen traf. Womöglich kommt es in Washington auch zu einem Treffen Grahams mit Merz; beide hatten bislang ein eher kompliziertes Verhältnis. Hintergrund ist ein geplatztes Spitzentreffen zwischen Merz und Graham, das auf einem Podium 2022 stattfinden sollte. Als Merz erfuhr, dass neben Graham auch der Publizist Henryk Broder und der AfD-nahe Anwalt Joachim Steinhöfel auf der Veranstaltung sprechen sollten, sagte er seine Teilnahme ab. Graham warf Merz daraufhin vor, sich der "Cancel Culture" zu ergeben. "Das Ganze wurde nie aufgearbeitet", erinnert sich ein Insider in Washington.

Merz habe "zu lange stark ausgeprägte Berührungsängste" mit der MAGA-Bewegung gehabt, was sich durch Trumps Wahlsieg jedoch geändert habe. Die unionsnahen Vertretungen in Washington, die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und die Hanns-Seidel-Stiftung, sind inzwischen sehr aktiv in der Vernetzung. Zudem gibt es Bestrebungen, den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder in die US-Hauptstadt zu holen. Umgekehrt hat Merz Trump bereits in die Pfalz eingeladen, die Heimat seiner Großeltern.

Auch wenn der Antrittsbesuch durchaus mit positiven Signalen enden könnte, sorgt Trump dafür, dass er den Druck auf Europa und speziell Deutschland permanent aufrecht hält. Die aus seiner Sicht "Flut deutscher Autoimporte" kritisiert er regelmäßig, er hat Importzölle auf Fahrzeuge von 25 Prozent beschlossen. Allein den BMW-Konzern kosten die von der US-Regierung verhängten Zölle auf Autoteile und Autoimporte zehn Millionen Euro pro Tag.

Erst vor Kurzem hatte der Präsident 50 Prozent Strafzölle auf alle Einfuhren aus Europa angekündigt, was die Exportnation Deutschland schwer treffen würde. Wenig später erklärte Trump zwar, er sei offen für Verhandlungen, die Wurzeln. nun bis zum 9. Juli laufen sollen. Die Einfuhrzölle auf Stahl- und Aluminium aber setzte er am Freitag auf 50 Prozent hoch.

Möglicherweise dürfte auch das Thema europäische Digitalregulierung bei dem Besuch eine Rolle spielen. Die Trump-Regierung hat die europäischen Datenschutz- und Wettbewerbsregeln sowie Hate-Speech-Gesetze in Ländern wie Deutschland scharf kritisiert und will sie unbedingt abschaffen. Rubio drohte erst vergangene Woche drastische Visabeschränkungen an mit der Begründung, europäische Behörden würden sich an der "Zensur von Amerikanern" beteiligen.

Trump wütet bei fast jeder Pressekonferenz zu seinen Strafzöllen, die Europäer würden "ständig unsere Unternehmen verklagen". Sein Vize J. D. Vance ging sogar so weit, einen möglichen Teilabzug der US-Truppen aus Deutschland mit dem Streit um Digitalplattformen zu verknüpfen. Die Verteidigung Deutschlands werde "vom amerikanischen Steuerzahler subventioniert", so Vance. Und die US-Bürger würden es nicht hinnehmen, dass man in Deutschland für "einen gemeinen Tweet" ins Gefängnis komme.

In den nächsten Wochen stehen weitere Treffen an. Erst der G7-Gipfel in Kanada, dann der Nato-Gipfel in Den Hag. Im Juni 2025 entscheidet sich, ob Europa und Trumps Amerika doch noch zu einem Arrangement finden – oder die transatlantische Partnerschaft in einem Zerwürfnis endet.

0500 Prozent Strafzölle könnten die USA auf Importe aus Ländern erheben, die wissentlich Öl und Gas aus Russland beziehen. Das sieht ein Gesetzesvorschlag aus dem Kongress vor.