Süddeutsche Zeitung, (B) vom 31.05.2025, S. 22 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, München)
Rubrik im PS: | Hans-Böckler-Stiftung |
Autor: | Jannis Brühl |
Auflage: | 114.850 |
Reichweite: | 421.500 |
Quellrubrik: | Wirtschaft |
ESSAY
Die Zukunft gehört nicht Elon Musk
Warum bauen nur rechtsdrehende Oligarchen Super-Software und Raketen? Und warum schaffen es progressive Städte nicht, genügend Wohnungen und Energienetze zur Verfügung zu stellen? Wie ein Fortschritt aussehen kann, der allen nutzt.
Eine Frage vereint die Gegner der rechten Populisten, egal ob diese Gegner in der Mitte oder links stehen: Mit welcher Wirtschaftspolitik lassen sich die Menschen zurückgewinnen? Donald Trumps Versprechen eines "goldenen Zeitalters", Elon Musks Fantasien von Kolonien auf dem Mars – solche Visionen kommen offensichtlich besser beivielen Wählern an als die liberal-sozialdemokratische Politik der vergangenen Jahrzehnte. Sie wird eher als blutleeres Management wahrgenommen denn als großer Wurf – oder gleich als Inkompetenz.
Dass eine oligarchisch organisierte Kahlschlag-Politik à la Trump und seinen staatsfeindlichen Verbündeten nicht im Sinne der meisten Wähler ist, wird zunehmend offensichtlich. Aber was haben die Gegner der Populisten zu bieten?
Seit Langem setzt das progressive Lager auf nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, auf höhere Löhne und Transferleistungen an die Schwächeren. Die Logik: Wenn die Menschen mehr Geld haben, kurbeln sie damit die Wirtschaft an. Das Problem: Offensichtlich stellt dieses System nicht genug essenzielle Güter und Infrastruktur zur Verfügung. Es fehlt an Wohnungen wie an funktionierenden Netzen für Züge und Energie. Gerade progressiv regierte Städte von New York bis München bekommen ihre Wohnungsprobleme nicht in den Griff. Billige grüne Energie für alle ist noch ein Traum.
In den USA wird diese Debatte derzeit von einem Buch bestimmt, das auf Platz eins der New York Times-Bestsellerliste stand und ein Weckruf für die gedemütigten Post-Biden-Demokraten sein soll: "Abundance", geschrieben von den Journalisten Ezra Klein und Derek Thompson. Das Wort der beiden hat Gewicht in progressiven Kreisen. "Abundance", das heißt so viel wie "in Hülle und Fülle". Die Knappheit, die das Leben in den reichen Gesellschaften prägt, müsse beendet werden, fordern Klein und Thompson. Es ist ein Versuch, eine asketische Form progressiver Politik abzustreifen, die den Menschen zu viel abverlangte. Stattdessen fordern sie eine progressive Politik, die das Angebot an Gütern stärkt statt nur die Nachfrage.
Der Staat agiere nicht zügig im Sinne der Bürger – sei es beim sozialen Wohnungsbau, der Klimawende oder dem Ausbau des Schienenverkehrs. Als weitere Beispiele gelten Klein und Thompson die Lieferengpässe bei medizinischer Ausrüstung und Computerchips während der Covid-Pandemie.
Die beiden Journalisten schreiben auch über ein Gesetz der Biden-Regierung, mit dem schnell eine US-Chipindustrie aufgebaut werden sollte. Sie kritisieren die Vorgabe, dass Unternehmen, die sich um Subventionen bewerben, detailliert nachweisen müssen, wie sie Diversität unter ihren Arbeitern sicherstellen können.
Am Ende geht es um die Frage, was Fortschritt ist. Zwei Vorstellungen stehen scheinbar in Konflikt miteinander: Der ökonomisch-technologische Fortschritt wird als konservativ oder wirtschaftsliberal wahrgenommen. Die progressive Seite setzt auf sozialen Fortschritt – mehr Rechte für Frauen und Minderheiten, Umweltschutz, kurz: Empathie. Was aber, wenn dieser Fortschritt den anderen lähmt?
In dieser Analyse sind sich Klein und Thompson einig mit einem weiteren aktuellen Buch, dem schön betitelten "Why nothing works" (Warum nichts funktioniert) des Politik-Historikers Marc J. Dunkelman von der Brown-Universität. Er erinnert daran, dass progressive Regierungen lange große Vorhaben in die Tat umsetzen – von der Mondlandung bis zur Gleichstellungspoli-tik, die schwarzen Amerikanern seit den Sechzigerjahren geholfen hat. Seit den Siebzigerjahren überwiege aber das Misstrauen der Progressiven gegen jede Form von Macht – und damit auch gegen zentrale Autoritäten, die die Knappheiten beenden könnten. Diese Form des linken Individualismus verdamme Projekte zum Scheitern.
Der Fortschritt solle möglichst demokratisch sein und Macht "von unten" begrenzen, schreibt Dunkelman. Bürger sollen an möglichst vielen Entscheidungen möglichst stark beteiligt werden – betroffene Anwohner, aber zum Beispiel auch anwohnende Biber beim Bau von Bahntrassen.
Als plakatives Beispiel dient Dunkelman der Versuch des demokratischen Bürgermeisters von New York, in den Achtzigerjahren im Central Park eine Eisfläche zu renovieren. Nach sechs Jahren war das Projekt immer noch nicht fertig, dafür aber mehr als doppelt so teuer wie geplant. Die Stadtverwaltung nahm die Hilfe eines Bauunternehmers an, der das Projekt schnell fertigstellte. Er hieß Donald Trump.
Die These von der Inkompetenz der demokratischen Verwaltung hat ihre Schwächen. Bei Kleins und Thompsons Konzept der "Abundance" bleibt stellenweise unklar, was ihre Forderungen von der Deregulierung und Entlastung von Unternehmern – dem berüchtigten Neoliberalismus – unterscheidet. Also von dem, was seit Jahrzehnten von ganz oben praktiziert wurde, gerade von Sozialdemokraten wie Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder.
Die Forderungen erinnern auch an jene der Tech-Oligarchen des Silicon Valley. Marc Andreessen, einflussreicher Risikokapitalist, schrieb in seinem Manifest "It’s time to build" von 2020: "Die Dinge, die wir in großen Mengen bauen, wie Computer und Fernsehgeräte, sinken schnell im Preis. Die Dinge, die wir nicht bauen, wie Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser, schießen im Preis in die Höhe." Amerika müsse Erfindern und Gründern freie Hand lassen. Alex Karp, Chef des Polizeisoftware-Herstellers Palantir, fordert in seinem Buch "The Technological Republic", Tech-Firmen und den Staat ganz nah aneinander zu bringen. Politik müsse von Forschern und Ingenieuren gemacht werden statt wie heute von "Legionen von Anwälten".
Den technischen Fortschritt, der die Mondraketen und den ICE möglich gemacht hat, hat die politische Rechte schon gekapert. Ihre Vordenker wie Elon Musk tun so, als könnten nur sie die Zukunft bauen. Sie sehen die Gesellschaft als Computer, der nur mit der richtigen Technologie aufgerüstet werden muss. Gesellschaftlicher Fortschritt – Emanzipation, Gleichheit, Anerkennung historischer Verbrechen, Umweltschutz, Klimaschutz – ist demnach nur ein Softwarefehler und erzeugt unnötige Reibung im System.
Nicht ohne Neid schreibt der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze: Musk habe "eine unheimliche Fähigkeit bewiesen, etwas zu tun, wovon die Linke träumt, aber noch lange nicht in der Lage ist, es zu verwirklichen. Er hat Objekte und ein damit verbundenes Unternehmen in eine Mission verwandelt. Musk hat einen populistischen Kult um seine beiden Projekte, das Tesla-Auto und sein Raketenprogramm, geschaffen".
Klein und Thompson machen in ihrem Buch allerdings die nachfrageorientierte Politik schlechter, als sie ist. Denn die großen Staatsausgaben der reichen Länder sind einer der Gründe, dass dieser Wohlstand auch erhalten bliebt. Sie stützen die Nachfrage und damit auch jene Unternehmer, die über zu viel Bürokratie jammern. Zugleich lassen sich die Folgen der Austerität der vergangenen Jahrzehnte besichtigen, gerade bei der Infrastruktur, die die Bevölkerung manchmal an den Rand des Wahnsinns treibt. Und wer schon mal auf ei- ner Demonstration gegen Kohleabbau war, weiß auch, dass dort grüne Ingenieure mitlaufen, die sehr wohl an der Zukunft arbeiten, besonders in der Wind- und Solarkraft.
Dennoch ist eine der Diagnosen korrekt: Die bürokratische Reibung im System sollte verringert werden, wenn man die Erzählung widerlegen will, nur die Politiker der Rechten seien "Macher".
Was heißt das alles für Deutschland? Auch hier murren viele über Überbürokratisierung und mangelnde Visionen. Wer über die Deutsche Bahn schimpft, schiebt oft hinterher, dass der Shinkansen-Zug in Japan ja auf die Sekunde genau pünktlich ankomme. Braucht das gesellschaftspolitisch progressive Deutschland mehr angebotsorientierte Wirtschaftspolitik?
Das kann man mit Sebastian Dullien besprechen, dem wissenschaftlichem Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Obwohl er eher jene Nachfrageorientierung vertritt, die als Keynesianismus bekannt ist, gibt er zu: "Es ist richtig, dass man auf der linken Seite auf Effizienz achten muss. Gerade bei den Grünen gibt es eine Bewegung, die den Naturschutz auch lokal durchsetzen will und damit Großprojekte erschwert." Er schränkt aber in Bezug auf die "Abundance"-Debatte ein: "Der Vorwurf an die Linke in den USA ist, dass sie zu viel auf Prozesse gesetzt hat statt auf Ergebnisse. Das lässt sich aber auf Deutschland nicht 1:1 übertragen. Die Genehmigungsverfahren wurden von der Ampel massiv verkürzt."
Von der Bundesnetzagentur heißt es, die Zahl der genehmigten Kilometer Stromleitungen habe sich von 2023 auf 2024 mehr als verdoppelt, auf 2700 Kilometer. Das liege unter anderem daran, dass nun schon oft erste Bauphasen formell eingeleitet werden, bevor alle Genehmigungen da sind.
Mit der neuen Bundesregierung verschieben sich die Prioritäten weiter. Diese Woche hat das Kabinett angestoßen, dem Ausbau von Glasfaser- und Mobilfunknetzen Vorrang vor Natur- und Denkmalschutz einzuräumen, Begründung: "überragendes öffentliches Interesse". Eine gewisse Beschleunigung steht also an.
Bleibt der Wohnungsmarkt. Die Ampel scheiterte an ihrem Vorhaben, 400 000 neue Wohnungen zu bauen – ein Grund sind Regeln und Normen, die den Bau verlangsamen. Hier liegt einer der wichtigsten Aufträge für die neue Regierung.
Auch die EU gilt vielen als bürokratische Verhindererin. Elizabeth Kuiper vom European Policy Centre, einem Thinktank in Brüssel, erklärt die Fortschrittsfrage als politisches Problem: "Wenn die EU nicht liefert, wählen die Leute extremere Parteien."
Sie sagt, Europa müsse sich von den "Abundance"-Ideen etwas abschauen. Die EU denke zu sehr vom Budget her statt vom Ergebnis: "Bei Sozialausgaben für Wohnen, Gesundheit und Bildung wird nur gemessen, wie viel Geld reingesteckt wird, nicht, was am Ende geliefert wird." In der Forschungsförderung seien die besten Ideen weniger gefragt als perfekt ausgefüllte Anträge. Allerdings sei die Botschaft auch bei der EU angekommen. Kuiper verweist auf den neuen KI-Aktionsplan. Er soll die Genehmigungen für Rechenzentren beschleunigen. Sie sind für moderne KI essenziell.
In ihrem Buch träumen Klein und Thomson vom Jahr 2050, in dem Steaks im Labor gezüchtet werden; im Erdorbit schweben vollautomatisierte Fabriken, die günstig Medikamente produzieren. Dort fragen die Menschen sich: Wie konnten die Menschen des Jahres 2025 nur Obdachlosigkeit, schlechte Infrastruktur und andere Mängel akzeptieren? Warum stellten sie nicht einfach die Dinge bereit, die die Welt besser machen? Gute Frage, eigentlich.