Hans-Böckler-Stiftung

Leipziger Volkszeitung, Leipzig vom 31.05.2025, S. 7 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Leipzig)

       
Rubrik im PS:Hans-Böckler-Stiftung
Autor:Frank-Thomas Wenzel
Auflage:29.220
Reichweite:68.083
Ressort:Wirtschaft

Ziel verfehlt: Teuerung bleibt bei 2,1 Prozent

Die Inflation in Deutschland erweist sich hartnäckiger als gedacht - Notenbanker bringt das in eine knifflige Lage

Es hat doch nicht gereicht: Die Inflationsrate in Deutschland hat im Mai den Zielwert von 2,0 Prozent knapp verpasst. Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts lag die Teuerung bei 2,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat - den gleichen Wert hatte es schon im April gegeben. Gegenüber dem Vormonat stiegen die Verbraucherpreise laut bisher vorliegenden Daten um 0,1 Prozent.

Für die Rate ohne Nahrungsmittel und Energie - oft auch als Kerninflation bezeichnet - gab die Wiesbadener Behörde ein voraussichtliches Plus von 2,8 Prozent an. Im April wurden 2,9 Prozent gemessen.

Die Kennziffer gibt Auskunft über die längerfristige Entwicklung der Preise. Für Silke Tober vom gewerkschaftsnahen Forschungsinstitut IMK ist diese Abschwächung entscheidend: "Im weiteren Jahresverlauf dürfte die Teuerungsrate um das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent schwanken." Zugleich blieben die wirtschaftlichen Aussichten in Deutschland und im Euroraum eingetrübt. Daran änderten auch kleine Lichtblicke wie der leichte Anstieg der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal nur wenig.

Die 2 Prozent sind so etwas wie die magische Zahl der Notenbanker, weil sie als Indikator für Preisstabilität stehen. Wird diese erreicht, hat das erhebliche Auswirkungen auf Zinsen und Geldpolitik. Die offizielle EZB-Definition lautet: "Mittelfristig streben wir eine Inflationsrate von 2 Prozent an. Wir verstehen dieses Ziel als ein symmetrisches Ziel. Das heißt, unserer Auffassung nach ist eine zu niedrige Inflationsrate genauso negativ wie eine zu hohe Inflationsrate." Laut dem Finanzdienst Dow Jones hatte eine große Zahl der Experten die 2,0 Prozent für Deutschland prognostiziert. Doch die Inflation erweist sich als hartnäckiger als erwartet.

Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, betont: "Dass der Preisanstieg vergleichsweise moderat ausgefallen ist, haben die Verbraucher nicht zuletzt weiterhin rückläufigen Energiepreisen zu verdanken." Hier ging es um 4,6 Prozent nach unten. Wenig Freude kommt dagegen für Verbraucher bei Dienstleistungen und Nahrungsmitteln auf, die weiterhin deutlich teurer sind als vor einem Jahr.

Was tun? "Die neue Regierung könnte einen sehr wichtigen Beitrag zur Verminderung der Inflation leisten, wenn sie den Anstieg der Lohnnebenkosten durch Sozialversicherungsbeiträge stoppt", rät Heise. Außerdem müssten die Energiepreise durch niedrigere Steuern und Abgaben auf den Stromverbrauch reduziert werden. Dann könne die Inflationsrate auch einmal deutlich unter 2 Prozent fallen, glaubt der Experte. "Das wäre ein Segen für die Verbraucher - und ein schöner Impuls für die Konjunktur."

In Spanien lagen die Verbraucherpreise im Mai erstmals seit sieben Monaten unter der Zwei-Prozent-Marke. In Italien meldeten die Statistiker am Freitag eine Rate von nur noch 1,9 Prozent.

Im gesamten Euroraum lag die Preissteigerung zuletzt bei 2,2 Prozent. Am kommenden Donnerstag entscheidet das oberste Gremium der Notenbank, der EZB-Rat, über die Leitzinsen. Bislang geht eine große Mehrheit der Beobachter von einer weiteren Absenkung aus. Allerdings ist die aktuelle Lage äußerst komplex. So machte das Ratsmitglied Fabio Panetta gerade deutlich, dass die Teuerung zwar "fast vollständig unter Kontrolle" sei. Zugleich betonte er aber, dass es nun "sorgfältig abgewogene Entscheidungen" brauche.

Hauptursache ist die unberechenbare Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump. Diese hat zu einer Aufwertung des Euro geführt, was Exporte von Unternehmen aus der Währungsunion in andere Länder verteuert. Panetta sprach zudem von "wachsender Unsicherheit" und meinte damit die konjunkturelle Entwicklung in den USA. Unter Volkswirten kursieren Rezessionsängste, die auch auf den alten Kontinent überspringen könnten. Als möglichen positiven Effekt hat EZB-Chefvolkswirt Philip Lane indes gerade in einem Interview darauf hingewiesen, dass durch eine US-Schwäche die Preise für Öl und Gas weiter sinken könnten, was die Teuerung auch hierzulande weiter dämpfen würde.

Ähnliche Auswirkungen erwarten viele Volkswirte, falls es trotz der Verhandlungen zwischen den USA und China doch noch auf hohe US-Einfuhrzölle für chinesische Produkte hinausläuft. Wenn dann Waren aus der Volksrepublik in rauen Mengen nach Europa umgeleitet werden, kann dies nach Panettas Einschätzung hier "die Produktion und die Inflation drücken".

Die Ökonomen der EZB blicken derzeit zudem besonders genau auf die Lohnentwicklung. Eine Schlüsselrolle spielt dabei Deutschland. Auf dem Arbeitsmarkt der größten Volkswirtschaft der Eurozone herrsche nach wie vor eine "beträchtliche Flaute", und insgesamt verlangsame sich das Lohnwachstum, so Grant Slade vom Analysedienst Morningstar. Deshalb gebe es jetzt Spielraum für weitere Zinssenkungen. Auch Tober empfiehlt: "Mit dem Ziel, die Binnennachfrage zu stärken, sollte die EZB die Geldpolitik weiter lockern." Konkret könnte es auf eine Absenkung des Einlagesatzes von 2,25 Prozent auf 2,00 Prozent hinauslaufen. Die Leitzinsen sind insbesondere für den gesamten Geldmarkt und für Kreditvergaben von zentraler Bedeutung.

Zitat-Text:

Die neue Regierung könnte einen Beitrag leisten, wenn sie den Anstieg der Lohnnebenkosten stoppt.

Michael Heise, Ökonom


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