NRZ Neue Ruhr Zeitung, Essen vom 18.03.2025, S. 13 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Essen)
Rubrik im PS: | Geisteswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften / Politikwissenschaften / Bildungswissenschaften |
Autor: | Björn Goldmann |
Auflage: | 21.434 |
Reichweite: | 49.941 |
Ressort: | Lokalsport |
Handballer ist auch Meister im Hobby Horsing
Zielsicher mit dem Handball und schnell auf dem Steckenpferd: Jonathan Steinkuhl holt Silber bei der DM
Von Björn Goldmann
Schanell hat schon bessere Tage erlebt. Die Augen hat sie verloren, die pinkfarbene Mähne ist zerzaust. An Halloween war sie im Einsatz, zuletzt haben Karnevalsfeiern dem Pferd zugesetzt. Das Leben ist kein Ponyhof, schon gar nicht für Schanell. Wobei: Schanell als Pferd zu bezeichnen, wäre zwar irgendwie richtig, aber irgendwie auch falsch. Schanells Kopf ist eine Plastikflasche, überzogen mit einer dicken schwarzen Socke. Der Körper ist ein knapp 40 Zentimeter langer Holzstab. Schanell ist ein Steckenpferd. Und schon lachen einige seiner Mitspieler, als Jonathan Steinkuhl mit Schanell in der Hand zum Training der Handballer der HSG am Hallo erscheint. Steinkuhl ist einer der Spielmacher des Oberliga-Tabellenführers, aber er ist auch Deutscher Vizemeister im Hobby Horsing.
Im was? Der Weg zur Hobby-Horsing-Karriere von Jonathan Steinkuhl ist ein lustiger, zugleich ein ernster und auch ein mit Missverständnissen gepflasterter Weg. Was mit dem Hobby Horsing an sich zu tun hat. Anders als der seit Jahrzehnten etablierte Handball ist das Reiten mit dem Steckenpferd eine recht neue, vor allem bei Kindern beliebte und von Erwachsenen häufig belächelte Sportart.
Mit dem Steckenpferd überHindernisse und auf den Parcours
Mit dem Steckenpferd werden Übungen absolviert wie im richtigen Reitsport. Es geht mit Sprüngen über Hindernisse oder mit disziplinierten Bewegungen ins Dressurviereck. Die Steckenpferde sind häufig selbst gebastelt und der Sport hat sich einer erzieherischen Aufgabe verschrieben: Kinder kommen in Bewegung und werden gleichzeitig für Pferde begeistert, ohne teure Reitstunden nehmen zu müssen. Nur ist Jonathan Steinkuhl mit seinen 24 Jahren kein Kind mehr. Und Pferdestärken hat nur sein Auto.
Dennoch hat sich der angehende Lehrer intensiv mit dem Hobby Horsing beschäftigt. Der Sport-Student der Uni Duisburg-Essen hatte sich schon immer für verschiedene Sportarten begeistert und diese als Fachschafts-Mitglied regelmäßig auf Landes-Tagungen kennengelernt. Vorgestellt wurden klassische wie Basketball. Oder exotische wie Quadball, eine der Realität angepassten Abwandlung des Quidditch aus den Harry-Potter-Romanen. In diese Kategorie dürfte auch das Hobby Horsing fallen, einst in Finnland erfunden und mittlerweile auch in anderen Teilen Europas populär. 2024 gab es auch in Deutschland erstmals eine nationale Meisterschaft. Mit dabei: Handballer Jonathan Steinkuhl. Auf Schanell.
So stand Steinkuhl nun da im September des vergangenen Jahres im Sportzentrum Frankfurt-Kahlbach. Das größte Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde, heißt es ja, und diesem Fall lag es für Hunderte meist junge Teilnehmerinnen mit Pferdeschwänzen und Flechtzöpfen auf einem Besenstiel mit Plüschkopf. Vor Steinkuhl lag der Parcours und diverse Hindernisse, die es im "6C Zeitspringen 80cm" zu überwinden galt. Er wusste ja noch, dass "es gar nicht so einfach ist, mit dem Steckenpferd zwischen den Beinen über die 80 Zentimeter hohen Hürden zu springen, das erfordert schon einiges an Koordination". Dennoch legte er mit dem Ziel los, die Runde in einer Fabelzeit zu absolvieren – und riss im Eifer des Gefechts eine der Hürden. Die einzige weitere Konkurrentin in dieser Klasse, die Finnin Lotta Kemppainen, ließ es im Anschluss ruhiger angehen und schloss so fehlerfrei als Deutsche Meisterin ab.
Steinkuhl nahm es mit Humor, denn der ganze Trip mit einer Gruppe Sportstudenten war ohnehin als spaßiges Wochenende geplant. Dass er beim Ritt auf dem Steckenpferd einen Cowboyhut aus dem Auslandssemester an Amerikas Westküste und ein "I love Hobby Horsing"- T-Shirt trug, war vielleicht etwas übertrieben und brachte ihm kritische Bemerkungen einiger Eltern der meist jungen Teilnehmerinnen ein. Doch der Handballer versichert: "Wir haben alle respektvoll mitgemacht und die vollen zwei Tage von den Tribünen auch den Rest der Teilnehmer angefeuert. Es herrschte eine tolle Stimmung."
Der Vizemeister wird in diesem Jahr jedoch nicht noch ein weiteres Mal bei der Hobby-Horsing-DM antreten. Selbst der Handball wird ab dem Sommer länger pausieren, wenn die Saison wohl mit dem Regionalliga-Aufstieg endet. "Es geht in die Masterphase meines Studiums, da will ich das Verletzungsrisiko minimieren und es auch einfach mal genießen, eine Zeit lang keine Trainings-Verpflichtungen zu haben." Denn die hatte der in Schwalmtal aufgewachsene und in der Jugend beim TV Oppum spielende Mittelmann auch bei den nachfolgenden Stationen TV Korschenbroich, Adler Königshof und derzeit bei der HSG am Hallo. "Aber danach will ich weitermachen. Handball würde ich nie aufgeben." Hobby Horsing dagegen schon. "Das war ein einmaliger Ausflug", sagt Steinkuhl fest entschlossen. Ob er seine Meinung doch noch einmal ändern und Schanell aus dem Ruhestand holen wird? Vielleicht für die nächste Karnevalsfeier? Man hat schon Pferde kotzen sehen.