Rubrik im PS: | Naturwissenschaften / Medizin |
Autor: | Ruhrlandklinik Essen, Christoph Schöbel |
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Hamburg: Prof. Schöbel über Schlafstörungen und digitale Therapie
"Professor Schlaf" auf Hamburg-Visite: Warum weniger Schlaf manchmal mehr ist
Prof. Christoph Schöbel ist Leiter des Zentrums für Schlaf- und Telemedizin an der Ruhrlandklinik Essen. FOTO: RUHRLANDKLINIK ESSEN UP-DOWN
Christoph Schöbel, Deutschlands erster Professor für Schlaf- und Telemedizin, besuchte in Hamburg den Anbieter einer digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA). Welche Folgen Schlafstörungen für die Gesundheit haben und was unseren Schlaf besser macht.
Unser Schlaf ist seine Berufung. Und wenn wir nicht schlafen können, weiß er Rat: Prof. Dr. med. Christoph Schöbel (43) ist Deutschlands erster Professor für Schlaf- und Telemedizin. Neben seiner Professur an der Universität Duisburg-Essen ist er Leiter des Zentrums für Schlaf- und Telemedizin an der Ruhrlandklinik Essen. Zuvor forschte Schöbel an der Charité in Berlin.
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Bei seiner Hamburg-Visite besuchte der Schlaf-Experte das Unternehmen GAIA. Es hat mit Somnovia ein interaktives Schlaftraining entwickelt, das als digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) erhältlich ist. Dabei beantwortete "Professor Schlaf" viele Fragen rund ums Schlafen und Nicht-Schlafen-Können.
Wann wird aus schlechtem Schlaf eine Schlafstörung?
Wenn wir aufgeregt sind, schlafen wir schlecht, wenn wir Probleme haben, können wir das mit ins Bett nehmen. Das gehört zum Leben dazu. Ein Problem wird es, wenn die Schlafstörungen anhaltend sind und uns bei der Bewältigung des Alltags behindern. Wir sprechen von einem Zeitraum zwischen einem und drei Monaten, in dem keine Besserung auftritt.
Wie viele Menschen leiden an einer Schlafstörung?
Wir gehen aktuell davon aus, dass bis zu 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine relevante Schlafstörung und sieben bis zehn Prozent eine chronische Ein- und Durchschlafstörung haben.
Was tut der Schlaf für uns?
Ein Beispiel: Wenn wir krank sind, schlafen wir länger - wir schlafen uns gesund. Wenn wir zu kurz schlafen, sind wir infektanfälliger, weil das Immunsystem, das sich in der Nacht rekonstituiert, sich nicht erholen kann. In der Nacht schickt der Körper zudem Killerzellen los, um Eindringlinge und entartete Körperzellen aufzuspüren, also Krebsvorläuferstufen. Das heißt, zu wenig Schlaf erhöht auch das Krebsrisiko.
Im Gehirn werden über Nacht Abbauprodukte entsorgt, damit es tagsüber wieder funktioniert. Ohne diese sogenannte Hirnwäsche steigt auch das Demenzrisiko. Zudem hängen psychische Erholung, Körperwachstum und sexuelle Funktionstüchtigkeit auch an einem gesunden Schlaf. Am Ende verlängert guter Schlaf das Leben, schlechter und zu wenig Schaf verkürzt es, weil dies etwa mit Herzkrankheiten, Diabetes und hohen Blutdruck verbunden ist. Ein längerer Schlaf wirkt sich also positiv auf die Lebenserwartung aus - laut einer Harvard-Studie um bis zu 4,7 Jahre.
Wie viel Schlaf brauchen wir?
Die Masse von uns braucht sieben bis neun Stunden Schlaf, es gibt aber auch extreme Kurz- und Langschläfer, genau wie es die extremen Frühaufsteher ebenso gibt wie die Nachteulen. Erholsam und ausreichend ist Schlaf dann, wenn man sich am Folgetag wohlfühlt.
Was taugen technische Hilfsmittel wie Smart Watches, die unsere Nachtaktivität messen?
Sie können eine Hilfe sein, weil sie eine Rückmeldung geben. Allerdings kann die subjektive Schlafqualität völlig anders sein als das, was die Smart Watch misst. Unser Körper spielt uns da gewissermaßen einen Streich.
Kann man auch zu viel schlafen?
Zu lange schlafen bedeutet, zu viel vom eigentlich wichtigen Traumschlaf zu bekommen. Das bringt das psychische Gleichgewicht ins Wanken, man ist schneller missmutig, übellaunig. Solche Symptome können auch ein frühes Zeichen einer sich entwickelnden Depression sein.
Welche äußeren Faktoren beeinflussen unseren Schlaf negativ?
Während der Corona-Pandemie haben wir uns die Arbeit nach Hause geholt. Aber es ist nicht gut, wenn die Arbeit zu nah am Bett ist, also das Homeoffice im Schlafzimmer. Um Schlafen zu gehen, muss ich mich entspannen und runterfahren können. Und das fällt vielen zunehmend schwer. Der Versuch, die Selbstoptimierung auch noch im Schlaf zu betreiben, führt eher zum Gegenteil. Je mehr ich will, dass ich schlafe, desto weniger wird mir der Körper den Gefallen tun. Das heißt im Umkehrschluss: Alles, was zur Entspannung beiträgt, ist richtig. Ob die Matratze dann hart, weich oder mittelweich ist, ist völlig egal.
Wie steht es mit Mediennutzung und Alkohol vor dem Einschlafen?
Auch hier gilt grundsätzlich: Alles, was entspannt ist, erlaubt. Wenn das eine Streaming-Serie oder ein Podcast sind - super. Allerdings: Wenn das gerade Gesehene oder Gehörte sehr aufregend und spannend ist, hält es uns wach, anders als beruhigende Musik oder eine sonore Hörbuch-Stimme.
Alkohol sorgt zunächst einmal sehr schnell für Entspannung. Das große Problem ist: Je mehr Alkohol ich brauche, um runterzukommen, umso teurer erkaufe ich mir das über Durchschlafstörungen, weil die Abbauprodukte schlafstörend sind. Bier und Wein sind Genussmittel, die für viele zum Leben dazugehören, aber als Einschlafhilfe nicht zu empfehlen.
Sind Schlafmedikamente hilfreich oder gefährlich?
Es ist gut, dass es Schlafmedikamente gibt. Aber die sollten nicht länger als vier Wochen verordnet werden. Ansonsten besteht die Gefahr der Abhängigkeit. An erster Stelle sollte die Verhaltenstherapie stehen. Leider ist es schwer, an einen Experten zu gelangen, gerade im ländlichen Raum. Ich bin daher froh, dass es inzwischen niedrigschwellige Möglichkeiten gibt, zum Beispiel über die DiGAs.
Welche Verhaltenstechniken helfen?
Viele Leute, die nicht schlafen können, wälzen sich im Bett herum, warten darauf, dass sie wieder einschlafen. Doch je länger ich schlaflos im Bett liege, umso mehr bringt mein Unterbewusstsein das mit der Schlafstörung in Verbindung. Es setzt eine Fehl-Assoziation ein. Diese Spirale muss unterbrochen werden. Wer länger als 20 Minuten wach liegt, sollte aufstehen, bis er wieder müde ist.
"Dass unsere Gedanken nachts kreisen, ist völlig normal. Allein das Wissen darüber kann helfen."
Da spielt das Thema Schlafrestriktion mit hinein. Das heißt, die Patienten brauchen einen Schlafdruck. Der entsteht, wenn ich - auch, wenn es zunächst paradox klingt - die Bettzeit verkürze, dem Patienten also weniger Zeit gebe, um sich den Schlaf zu holen, den er benötigt. Außerhalb dieses Zeitfensters darf er nicht schlafen, etwa tagsüber, wie viele Schlafgestörte es tun. Dadurch nimmt der Schlafdruck für die nächste Nacht aber wieder ab und das Problem bleibt bestehen.
Zur Verhaltenstherapie gehören auch kognitive Techniken gegen das sogenannte Gedankenkreisen. Dass nachts diese Gedanken kommen, ist ganz normal und hat mit unserem Hormonhaushalt zu tun. Allein das Wissen darüber kann schon etwas Druck nehmen.