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Haller Tagblatt vom 05.02.2025, S. 10 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Schwäbisch Hall)

       
Rubrik im PS:Print
Autor:Tobias Würth
Auflage:12.829
Reichweite:29.892
Ressort:Schwäbisch HALL

Kongress startet mit Kontroversen über Politik

Gipfeltreffen Auf die Rede von Cem Özdemir folgt ein Gegenentwurf von Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller. Die 370 Plätze im Globe sind alle besetzt. Von Tobias Würth

Der Plan des Gründers und Mitveranstalters der Weltmarktführertreffen geht auf. Walter Döring hoffte im Vorfeld auf Klartext von den Gastrednern. Kontrovers geht es bereits beim CEO-Abend, dem Auftakt zum dreitägigen Gipfeltreffen der Weltmarktführer in Hall zu.

Der ehemalige FDP-Landes-Wirtschaftsminister Walter Döring ("Ich gehöre einer Partei an, die es aktuell noch gibt") spricht von einem Aufbruch nach der Wahl am 23. Februar, den Deutschland benötige. Er legt ein klares Bekenntnis zur Demokratie ab: "Diejenigen, die ausländische Mitarbeiter remigrieren wollen, haben wir nicht eingeladen." Döring kündigt Cem Özdemir als besonders schwäbische Variante eines Politikers an: "Man erhält zwei Minister zum Preis von einem." Denn der "anatolische Schwabe" aus Bad Urach ist nach dem Bruch der Koalition nicht nur für Ernährung und Landwirtschaft, sondern auch für Bildung und Forschung zuständig.

Cem Özdemir, der an diesem Abend mit tiefer Stimme und betonten Sätzen vor den Wirtschaftsführern womöglich sehr kernig wirken will, stellt klar: "Es ist eine Baden-Württembergische Lösung: Ein Mann und ein Gehalt für zwei Ministerien."

Über lange Strecken in seiner Rede geht er auf die aktuelle Politik ein, die er vor Kurzem erst zum Lichtmess-Tag in Wolpertshausen dargelegt hatte. In der aktuellen Debatte befürwortet er es, dass Asylbewerber erstmal außerhalb Europas einen Prozess durchlaufen. Erst wenn sie anerkannte Flüchtlinge seien, dürften sie ins Land gelassen werden.

"Als jemand mit Ützel-Brötzel-Namen sage ich das", leitet er sein kleines ABC der Integration ein. Das beginnt mit der Sprache, geht weiter übers Arbeiten hin zum Einhalten der Gesetze. In Deutschland bestimme eben jede Frau selbst, wen sie heiraten will und es hat eben nicht etwa das Familienoberhaupt das Sagen.

Es sind Sätze, die in die aktuelle Debatte über Migration passen. Özdemir fürchtet das "schleichende Gift, das die Präsenz der AfD" verteilt. Falls die CDU nun europäisches Recht bei den Grenzschließungen brechen wolle, habe dies weitere Auswirkungen. Özdemir: "Ich habe dann kein Mittel mehr, Ungarn zu sagen, es solle sich an europäisches Recht halten." Der "sehr geschätzte Herr Merz" unterschätze die Dynamik.

Markige Sprüche

Er garniert seinen Vortrag mit markigen Sprüchen wie: "Das Hemd schwitzt nicht von allein." Schwäbische Arbeitsmoral sei gefragt. Im Wissenschaftsministerium habe er dafür gesorgt, dass es mit dem Digitalpakt weitergeht und die Batterieforschungsförderung nicht endet.

Im Gespräch mit der Politik-Chefin der Wirtschaftswoche, die das Gipfeltreffen veranstaltet, wird Özdemir persönlich. Der Rechtsruck treibe ihn um. "Wie schaffen wir, dass die AfD nicht ein Ergebnis erhält, das durch die Decke geht." Dazu müssten sich die demokratischen Parteien zusammenraufen und eben nicht wie die "Kesselflicker" streiten.

Aber warum haben sie das in den vergangenen Jahren in der Koalition nicht gemacht? Man konnte bei der Fehleranalyse von Özdemir fast vergessen, dass er ja selbst derzeit als Doppelminister für die Starre im Land verantwortlich ist, die Wirtschaftswoche Chefredakteur Horst von Buttler eingangs benannt hat.

Weniger Staat

"Es pfupfert mich schon – auf Schwäbisch gesagt – auf Sie einzugehen", sagt Dr. Nicola Leibinger-Kammüller. Die in Amerika geborene Erfolgsmanagerin des Familienunternehms Trumpf beweist Bodenständigkeit. Es juckt sie also, dem Grünen-Minister die Leviten zu lesen. Doch vor den knapp 400 CEOs im voll besetzen Globe-Theater hält sie sich ans Manuskript.

Schade eigentlich. Denn man hätte schon gerne gewusst, was genau sie an den Ausführungen von Özdemir nun falsch hielt. Schließlich gab der Fehler zu. So hätte man nach Özdemirs Ansicht mit dem Atomausstieg ein Jahr warten sollen. Doch auch so können die Zuhörer erahnen, was Nicola Leibinger-Kammüller von der Politik fordert. Oder besser gesagt, nicht fordert. Denn die sollte sich besser aus der Wirtschaft heraushalten, anstatt sich einzumischen.

Die Unternehmen benötigen keinen Staat, der "zunehmend dirigistisch" eingreift. Anschaulich habe man das bei der E-Mobilität gesehen. Erst wurde sie gefördert, dann die Subvention abrupt gekürzt. Nun sei der Schaden da. Sie kritisiert die "Blauäugigkeit" der Politiker bei der Einführung der Erneuerbaren Energie und die überbordende Bürokratie samt ihrer langen Genehmigungsprozesse. Stattdessen sollten lieber die schadhaften Brücken erneuert werden.

Aber auch über Wirtschaftsvertreter wundere sie sich. Die würden "gleich nach dem Staat rufen", wenn einmal etwas nicht funktioniert. Manche Geschäftsmodelle würden gar von Anfang an aus Subventionen ausgerichtet.

Mehr Leistung

Doch nicht nur vom Staat, auch von der Bevölkerung erwartet sie einen Sinneswandel. "Mehr Leistung und mehr Arbeitszeit", sei die Devise. Die "mentale Einstellung zu Leistung" sollte sich ändern.

Gesprächsstoff ist also genug da, der am Rand des Gipfeltreffens und bei den Fachveranstaltungen diskutiert werden kann.

Abbildung: CEO-Abend des Gipfeltreffens der Weltmarktführer mit Cem Özdemir.⇥Foto: Ufuk Arslan


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