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Heilbronner Stimme, Heilbronn vom 07.02.2025, S. 10 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Heilbronn)

       
Rubrik im PS:Print
Autor:in Claudia Ihlefeld
Auflage:14.088
Reichweite:32.825
Ressort:Kultur

Medienschelte und Zuversicht

KÜNZELSAU Die Autorin und Juristin Juli Zeh beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer und wie sie die Welt sieht

Deutschland am Abgrund? "Wenn man einen Funken Geschichtsbewusstsein hat, ist das nicht die schlimmste Epoche aller Zeiten", entwarnt Juli Zeh. "Wir sind nicht aus dem Garten Eden vertrieben. Es gibt eine Zukunft", sagt die Bestsellerautorin und Juristin.

Den Gästen beim Abendtalk im Carmen-Würth-Forum in Gaisbach im Rahmen des Gipfeltreffens der Weltmarktführer scheint sie aus der Seele zu sprechen. Es ist der letzte Programmpunkt der sogenannten Highlight-Session vor dem kulinarischen Come Together am zweiten Abend eines dreitägigen Meetings, veranstaltet von "Wirtschaftswoche" und Partnern, das tagsüber in Schwäbisch Hall stattfindet.

Auf dem Podium sitzen Zeh und die stellvertretende Chefredakteurin der "Wirtschaftswoche", Maja Brankovic. Brankovic hat Juli Zeh als eine "öffentliche Intellektuelle" eingeführt, die die Gegensätze unserer Zeit und die Risse in der Gesellschaft aufzeigt. Sie schäume eigentlich immer vor Wut und vor Schaffenskraft, geht Zeh in medias res, nachdem sie betont hat, die Sesselfarben – sie selbst sitzt in Blau – haben keine Bedeutung. Wie sie die Debatten der letzten Woche (n) und im Bundestag wahrgenommen hat?

Apokalyptisch "Ich finde die Reaktionen übertrieben", hält Juli Zeh wenig davon, die Annahme des Migrations-Antrags der CDU mit Stimmen der AfD als "apokalyptisches Untergangsszenario unserer Demokratie zu framen". Wobei weder die Stichworte CDU, AfD noch der Name Friedrich Merz fallen, Merz ist der Elefant im Raum. Zeh wird ihn später, in einem anderen Kontext, erwähnen. Die beiden Frauen bleiben abstrakt. Zeh spricht vom unglücklichen Versuch eines Politikers kurz vor der Wahl. Und argumentiert wider "die Empörung und Hysterie", weil sie nicht glaubt, dass die Menschen so empört und hysterisch sind. Eine These, für die Zeh, die sich medial gut zu verkaufen weiß, einen Schuldigen parat hat. Nicht nur die Politik, sondern die Medien und nicht nur die sozialen, vielmehr auch die herkömmlichen, die auf "starke Schlagzeilen" setzen.

Clickbaiting statt seriöser Recherche? Der Abend gerät zur Medienschelte, auf dass Maja Brankovic Hören und Sehen vergeht. "Die Stimmung ist im Keller", diagnostiziert die Journalistin die Stimmungslage der Republik – und läuft damit nicht das einzige Mal ins offene Messer von Juli Zeh, die mehrfach kokettiert, sie spitze nur polemisch zu, meine es nicht persönlich, um im nächsten Satz nachzulegen.

Zeh lässt im Saal abstimmen, und siehe da, die Stimmung der Vertreterinnen und Vertreter der anwesenden Weltmarktführer ist mitnichten im Keller. "Schon in der Diagnose liegt eine Behauptung, die man überprüfen muss", frohlockt die Schriftstellerin. Was sie "beschissen" findet, ist die Art, in der medial kommuniziert wird. Von "toxischer Gehirnwäsche" ist die Rede. "Aber das heißt nicht, dass alle im Land Apokalyptiker sind." Hilflos wirken Maja Brankovics Versuche, die Zunft zu verteidigen, wenn sie davon spricht, Journalisten wollten das Volk "aufschlauen". Das klingt so überheblich wie Zehs Pauschalisierung, wenn sie die Medien undifferenziert über einen Kamm schert, dem Irrglauben aufsitzt, der journalistische Nachwuchs wolle "die Welt verbessern". Und sich tatsächlich in die fragwürdige Bemerkung versteigt, Journalisten seien schließlich nicht gewählt. Zum Glück nicht, und wenn, von wem auch, denken der eine und die andere im Publikum.

Bildungswesen Das Thema der Wächterfunktion der Medien kommt leider nicht zur Sprache in der Brandrede von Juli Zeh, die den Auftritt sichtbar genießt. Was hört Zeh in Brandenburg, wo sie seit 2007 auf dem Dorf lebt? Was sind die Themen, die nach Ansicht der Menschen die Regierung "verpennt" hat, wechselt Brankovic zum Ende hin das Thema. Wirtschaft und Bürokratie, das desolate Bildungswesen, schließlich Infrastruktur und Mobilität trieben dort auf dem Land die Leute um. Dabei liegt die Bildung – "ich bin ja Sozialdemokratin" – Juli Zeh, Jahrgang 1974 und Mutter zweier Kinder, besonders am Herzen. Ein konsensfähiges Thema.


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