Westdeutsche Allgemeine WAZ, Duisburg vom 01.04.2025, S. 17 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Duisburg)
Rubrik im PS: | Geisteswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften / Politikwissenschaften / Bildungswissenschaften |
Autor: | Philipp Wahl |
Auflage: | 12.039 |
Reichweite: | 28.051 |
Ressort: | Lokales |
Kritik an Ramadan-Video der Stadt
Instagram-Beitrag wurde mit der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş gedreht. MdB Lamya Kaddor sieht das als Fehler
Von Philipp Wahl
Die Stadt veröffentlicht alle Jahre wieder Beiträge auf ihren Social-Media-Kanälen, um den Duisburger Musliminnen und Muslimen einen gesegneten Ramadan zu wünschen. Vorige Woche hat das Amt für Kommunikation ein Instagram-Video veröffentlicht, das beim Fastenbrechen (Iftar) in der Haci-Bayram-Veli-Moschee in Hochfeld aufgenommen wurde. Die Gemeinde gehört der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) an. Die Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor (Grüne) kritisiert diese "Zusammenarbeit der Stadt mit Millî Görüş " in einer an Medien verschickten Stellungnahme als Fehler: "Eine demokratische Kommune darf sich nicht mit Organisationen einlassen, die in der Vergangenheit durch islamistische Ideologien und problematische Positionen aufgefallen sind."
Die Millî-Görüş -Bewegung (MGB) steht in Nordrhein-Westfalen seit Jahren unter nachrichtendienstlicher Beobachtung. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht des NRW-Innenministeriums steht dazu: "Die Umsetzung des Adil-Düzen-Konzeptes als Ziel der politischen Bewegung Millî Görüş ist mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar, da eben diese überwunden werden soll."
Ideologische Wurzelnbasieren auf Necmettin Erbakan
Die ideologischen Wurzeln der MGB gehen auf den 2011 verstorbenen türkischen Politiker Necmettin Erbakan zurück. Er ging von zwei politischen Ordnungen aus, einer von Menschen geschaffenen "nichtigen Ordnung" (Batıl Düzen) und der "gerechten Ordnung" (Adil Düzen) nach Gottes Willen. Das Ziel der MGB sei die Durchsetzung der "gerechten Ordnung" in der Türkei und darüber hinaus, heißt es im Verfassungsschutzbericht.
Die zugehörige Saadet Partisi (SP) hat in Duisburg ihre Europazentrale. Die IGMG, die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş, ist als religiöser Trägerverein mit Sitz in Köln in den 1990er Jahren aus der Millî-Görüş -Bewegung heraus entstanden.
"Millî Görüş steht für ein Weltbild, das im Widerspruch zu den Werten einer offenen und pluralen Gesellschaft steht", erklärt Lamya Kaddor. "Die Organisation möchte religiös-normativen Vorgaben durch ihre politische Arbeit langfristig auch tatsächlich rechtliche Geltung verschaffen." Für die Abgeordnete ist das einminütige Instagram-Video eine "Werbeaktion" – ein "falsches Signal: Statt Integration zu fördern, wird eine Gruppierung legitimiert, die für Parallelgesellschaften, die Verhinderung von Integration und ideologische Abschottung steht." Die Stadt müsse "sich klar von dieser Zusammenarbeit distanzieren", so Kaddor.
Das macht das Amt für Kommunikation auf Nachfrage nicht. Der stellvertretende Amtsleiter Jörn Esser geht nicht auf die Vorwürfe ein und antwortet mit einer allgemeinen Stellungnahme: "Der Stadt Duisburg ist es ein wichtiges Anliegen, für den interkulturellen und interreligiösen Zusammenhalt der Stadtgesellschaft einzutreten und die religiöse Vielfältigkeit in Duisburg abzubilden. Im Fastenmonat Ramadan steht das Fastenbrechen (Iftar) symbolisch für das menschliche Miteinander, das Zusammenkommen, Respekt, Toleranz, Offenheit und den Dialog. Diese Werte gilt es aufrechtzuerhalten und so einen konstruktiven Beitrag für ein friedliches Miteinander zu leisten. Wir sind der Überzeugung, dass es wichtig ist, im Gespräch zu bleiben."
Islamwissenschaftlerin Kaddor, die selbst fastet, findet es zwar "sehr löblich, dass die Stadt muslimisches Leben würdigt". Es sei ihrer Meinung nach auch wichtig, im Kontakt mit den Gemeinden zu bleiben – auch mit denen der IGMG. Aber "es geht nicht", so Kaddor, "dass die Stadt nur diese eine Gemeinde öffentlich hervorhebt, noch dazu ohne eine kritische historische Einordnung. Zumal die IGMG im Verfassungsschutzbericht 2023 des Bundes und einiger Bundesländer erwähnt wird."
Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärte zuletzt auch: "Extremismusbezüge der IGMG sind in den vergangenen Jahren schwächer geworden." In NRW taucht die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş seit 2014 nicht mehr im Verfassungsschutzbericht auf. Die Polizei Duisburg hat Kontaktbeamte für interkulturelle und interreligiöse Angelegenheiten. Sie stehen auch im Austausch mit Duisburger Gemeinden der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş. Zur IGMG-Gemeinde in Hochfeld, erklärt eine Polizeisprecherin, "liegen der Polizei aktuell keine staatsschutzrelevanten Erkenntnisse vor".
Eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums erklärt: "Während die anderen der in Deutschland aktiven, der MGB zuzuordnenden Teilorganisationen weiterhin deutlich dem antiwestlichen, antisemitischen und antidemokratischen Weltbild von Necmettin Erbakan verhaftet sind, weist die IGMG zwischenzeitlich in NRW kaum noch offene Extremismusbezüge auf." In manchen Bundesländern seien noch Verbindungen der IGMG zu Teilbereichen der Millî Görüş -Bewegung belegbar, nicht jedoch in NRW: "Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass die IGMG-Verbände in NRW die politischen Ziele der Millî Görüş -Bewegung verfolgen oder organisatorisch maßgeblich unterstützen."
IGMG-Sprecher sieht KaddorsKritik als "großen Schock"
Vertreter der Hochfelder Haci-Bayram-Veli-Moschee wollten sich vor Ort an der Wanheimer Straße 6-8 nicht zu den Vorwürfen äußern. Für sie meldete sich jedoch der Sprecher des übergeordneten IGMG-Regionalverbandes Düsseldorf zu Wort. Kaddors öffentliche Kritik sei "ein großer Schock und Enttäuschung zugleich für unsere ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer", sagt Yunus Semerci. Es sei "inakzeptabel, dass Frau Kaddor öffentlich unsere Ausgrenzung fordert. Ihre Vorwürfe stimmen nicht mit den Fakten überein. Anstatt dieses Engagement, das auf Solidarität und Nächstenliebe beruht, zu würdigen, sieht sich unsere Gemeinde haltlosen Anschuldigungen ausgesetzt."
Semerci verweist darauf, dass IGMG "seit über zehn Jahren" nicht mehr im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW auftaucht. Die sieben Duisburger IGMG-Gemeinden stünden "für Vielfalt und Dialog in einer interkulturell und interreligiös geprägten Gesellschaft. Uns ist es wichtig, Brücken zu bauen, statt diese abzureißen."
Darum seien zum Fastenbrechen nicht nur Gemeindemitglieder, sondern auch Nachbarn, Bedürftige, Freunde und Christen eingeladen. Die Hochfelder Moscheegemeinde etwa suche den Austausch zur evangelischen Gemeinde der Pauluskirche. "Deren Vertreter waren auch schon beim Iftar."
Zentrum für Türkeistudienhält das Video für "in Ordnung"
In den Räumen der Hochfelder Haci-Bayram-Veli-Moschee kommen im Ramadan nach Sonnenuntergang seit Jahren allabendlich 200 bis 300 Menschen zum Iftar. Das Essen spenden Gemeindemitglieder. Im Instagram-Video der Stadt sprechen junge Gemeindemitglieder über die Besonderheit des Hochfelder Iftar und ihr persönliches Ramadan-Erleben. Der Instagram-Clip erhielt bislang mehr als 1800 Likes.
Bei der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung reagiert Programmleiter Yunus Ulusoy gelassen. Er findet das Vorgehen der Stadt Duisburg "in Ordnung". Durch solch ein Iftar-Video "macht man sich nicht automatisch mit allen Forderungen einer Gruppierung gemein", argumentiert er. Die Millî-Görüş -Bewegung und ihre Organisationen seien hierzulande zudem jahrelang "regelrecht dämonisiert" worden.
Aber die Realität in der muslimischen Minderheitsgesellschaft lasse sich nicht mit dem deutschen Links-rechts-Schema abbilden, erklärt Ulusoy. So habe die Saadet Partisi (SP) der Millî-Görüş -Bewegung zum Beispiel vor der bislang letzten Wahl in der Türkei noch mit der CHP des nun inhaftierten Erdogan-Gegners İmamoğlu kooperiert. Bei der IGMG sei entscheidend, "welche Akteure vor Ort in einem Moscheevorstand aktiv sind. Um sie kennenzulernen, sollte auch eine Kommune den Kontakt suchen."