Naturwissenschaften / Medizin

WAZ Online am 16.05.2025 (Internet-Publikation, Essen)

Rubrik im PS:Naturwissenschaften / Medizin
Autor:Martin Ahlers
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Diabetes: Forscher wollen Blutzucker künftig ohne Pieks messen

Duisburg. Es ist klein, billig und funktioniert ohne Nadel: Ein kleiner Helfer, den Duisburger Wissenschaftler entwickeln, könnte Millionen von Diabetikern helfen.

Von Martin Ahlers Redakteur

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Dr. Mandana Jalali und Prof. Dr. Daniel Erni leiten eine institutsübergreifende Arbeitsgruppe an der Universität Duisburg-Essen. Ihr Ziel ist die Entwicklung eines Miniatur-Sensors zur Blutzucker-Messung per Terahertz-Wellen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Dr. Mandana Jalali und Prof. Dr. Daniel Erni leiten eine institutsübergreifende Arbeitsgruppe an der Universität Duisburg-Essen. Ihr Ziel ist die Entwicklung eines Miniatur-Sensors zur Blutzucker-Messung per Terahertz-Wellen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

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Dr. Mandana Jalali und Prof. Dr. Daniel Erni leiten eine institutsübergreifende Arbeitsgruppe an der Universität Duisburg-Essen. Ihr Ziel ist die Entwicklung eines Miniatur-Sensors zur Blutzucker-Messung per Terahertz-Wellen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Die Messung des Blutzuckergehalts ist für Diabetiker ständige Routine. Sie könnte schon bald für viele Millionen Betroffene deutlich leichter und billiger werden. An der Universität Duisburg-Essen (UDE) arbeitet eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Daniel Erni und Dr. Mandana Jalali an einem Gerät, das gerade so groß wie ein Schlüsselanhänger ist. "Wir wissen, wie es funktioniert", sagen die beiden Wissenschaftler.

Duisburger wollen nicht-invasive Messung mit kompaktem Gerät

Seit fast 20 Jahren lehrt der Schweizer im BA-Gebäude an der Bismarckstraße allgemeine und theoretische Elektrotechnik. Was das mit Diabetes zu tun hat? Eine ganze Menge: Denn die Wissenschaftler beschäftigen sich mit elektromagnetischen Wellen. Sie könnten die Lösung sein für eine gleichermaßen präzise, kompakte und nicht-invasive Blutzucker-Messung.

"In Gefäßen und auch im Zellgewebe findet sich der Zucker", erklärt Erni, "je nach Gehalt verändern sich Wellen, die dann an einer Hautoberfläche unterschiedlich reflektiert werden." Aus diesen Abweichungen lässt sich der Blutzuckerspiegel bestimmen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Die Glukosemessung an der Hautoberfläche nennt Erni "eine jahrzehntelange, bewegte und komplikationsreiche Geschichte."

Präzise Messungen an der Hautoberfläche kaum möglich

Die Versuche, den Blutzuckerstand mit hochfrequenten Feldern im Megahertz- bis Gigahertz-Bereich zu messen, hat Erni vor 25 Jahren erlebt, als er noch an der ETH Zürich forschte. "Mehrere Start-ups, die daran arbeiteten, sind gescheitert." Das Problem ist die oberste Hautschicht: Ihre bei jedem Menschen individuelle Beschaffenheit erschwert die präzise Messung, die auch von Trockenheit, Feuchtigkeit und Schweiß so stark beeinflusst wird, dass eine präzise Messung kaum möglich ist. Daran scheitern auch Messungen durch die Hautfalte zwischen Zeigefinger und Daumen.

Erni bezweifelt, dass andere Wege zu einem kleinen Helfer führen können: "Optische, Laser-basierte Systeme gibt es zwar schon. Sie befinden sich in der Zulassungsphase, sie werden aber wegen ihrer Größe eher klinisch eingesetzt." Auch von Smart-Watches hält der Duisburger Forscher wenig: "Sie können es eigentlich nicht."

Häufig verwenden Diabetiker scheibenförmigen CGM-Sensoren. Sie werden auf den Oberarm geklebt und messen über eine fast unsichtbare Nadel rund um die Uhr. Die kleinen Messgeräte müssen aber regelmäßig neu beschafft werden. Außerdem ist ihr Preis und die Verfügbarkeit gerade für arme Regionen dieser Welt ein Problem.

Sensoren mit einer winzigen Nadel zur Blutzucker-Messung, die auf den Arm aufgeklebt werden, gibt es seit einigen Jahren. Doch sie müssen regelmäßig getauscht und nachgekauft werden. © Shutterstock / Lukasz Pawel Szczepanski | Lukasz Pawel Szczepanski

Sensoren mit einer winzigen Nadel zur Blutzucker-Messung, die auf den Arm aufgeklebt werden, gibt es seit einigen Jahren. Doch sie müssen regelmäßig getauscht und nachgekauft werden. © Shutterstock / Lukasz Pawel Szczepanski | Lukasz Pawel Szczepanski

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Sensoren mit einer winzigen Nadel zur Blutzucker-Messung, die auf den Arm aufgeklebt werden, gibt es seit einigen Jahren. Doch sie müssen regelmäßig getauscht und nachgekauft werden. © Shutterstock / Lukasz Pawel Szczepanski | Lukasz Pawel Szczepanski

Terahertz-Technik passt auf winzigen Mikrochip

Den Durchbruch soll jetzt die Terahertz-Forschung an der UDE bringen. Der Vorteil der extrem kurzen Wellenlängen (bis zu 100 Mikrometer): Ein Oszillator, der die THz-Wellen erzeugt sowie Antennen für den Sender und Empfänger lassen sich auf einem einzigen, wenige Quadratmillimeter kleinen Mikrochip verbauen, zur Energieversorgung reicht eine kleine Batterie. "Das Gerät müsste nicht größer als ein Schlüsselanhänger sein", erläutert Daniel Erni, "das ist ein konkurrenzlos kleiner Formfaktor".

Seit neun Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler der UDE und anderer Hochschulen im Forschungsverbund Ruhr im Sonderforschungsbereich "Marie" mit den Terahertz-Wellen und ihrem Nutzen für verschiedenste Anwendungen. "Dabei kam auch die Blutzucker-Messung als Idee ins Spiel."

Provendis fördert Tech-Transfer von Unis in die Wirtschaft

Damit aus universitärer Forschung Anwendungen und Produkte entstehen, gibt es sei 2002 die PROvendis GmbH in Mülheim. Als Tochtergesellschaft von 28 Hochschulen und Forschungseinrichtungen forciert sie den Technologie-Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Zusammen bilden sie den Verbund innovation2business.nrw, der als Ansprechstelle Unternehmen unbürokratisch Zugriff auf das Innovationspotenzial der NRW-Hochschulen ermöglicht und ihre Innovations- und Know-how-Fragestellungen beantwortet.

Außerdem engagiert sich PROvendis bei Bewertung, Schutz und Vermarktung von neu entstandenem geistigem Eigentum für Hochschulen und Unternehmen.

Nach einem Bericht über seine Forschung habe es zahlreiche Anfragen aus der Industrie gegeben, berichtet Prof. Dr. Daniel Erni: "Alle wollten wissen: Wie weit seid ihr?"

Nächstes Etappenziel: Bau eines Prototypen

Das "Haut-Problem" ist bereits gelöst. Das Nagelbett haben die Forscher ausgemacht als idealen Ort für die Messung. Daniel Erni: "Eine extrem gut durchblutete und strukturell sehr gut definierte Gewebe-Oberfläche, die zudem gut geschützt ist durch den Fingernagel." Vorstellbar sei es sogar, in einen künstlichen Fingernagel den gesamten Glukose-Sensor einzubauen: "Medizintechnik vom Nagelstudio - das wäre eine wunderbare Pointe unserer Erfindung."

Wie geht es jetzt weiter? "In Simulationen haben wir gesehen, dass es ganz gut funktioniert", berichtet Dr. Mandala Jalali, die gemeinsam mit Erni das Projekt leitet. Einige weitere Anstrengungen braucht es noch zur "Erhöhung des Technologie-Reifegrades", damit bestenfalls in zwei Jahren ein Prototyp gebaut werden kann.

Patentschutz wichtig bei der Suche nach Industriepartnern

Ein Antrag auf Forschungsgelder ist in Arbeit, "wie schnell es weitergeht, hängt davon ab, wieviel Manpower wir finanzieren können", sagt Erni. Weitere Zeit fressen auch klinische Tests, Zulassungsverfahren und Ethik-Verfahren, die notwendig sind für Geräte, die am Menschen eingesetzt werden.

Ob Patente für die Entwicklung erteilt werden, werde noch geprüft, erklärt Daniel Erni. Möglicherweise gebe es eine Konkurrenz durch russische Forscher, von ihnen gebe es eine Veröffentlichung zu Messungen am Finger. Angesichts der Bedeutung von Diabetes sei aber klar, "dass jeder, der in diesem Kontext Sensorkonzepte entwickelt, sie von Beginn an schützen muss".

Wichtig sind Patente nicht zuletzt für einen industriellen Partner, der den kleinen Helfer in großer Stückzahl baut. Voraussetzung für eine solche Kooperation ist die Gewissheit, dass ein solcher Sensor nicht binnen kurzer Zeit kopiert werden kann.

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