Geisteswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften / Politikwissenschaften / Bildungswissenschaften

Dithmarscher Landeszeitung vom 16.05.2025, S. 18 (Tageszeitung / täglich außer Sonntag, Heide)

       
Rubrik im PS:Geisteswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften / Politikwissenschaften / Bildungswissenschaften
Auflage:4.309
Reichweite:10.040
Ressort:Dithmarschen

1000 Anrufe voller Verzweiflung

Wenn Alltag krank macht: Im Gode Tied in Büsum beginnen erschöpfte Mütter ihren Weg zurück ins Leben. Doch der Weg dahin ist steinig.

Büsum

Die Kuren werden zwar zumeist von den Krankenkassen bewilligt, aber die Platzsuche ist eine Katastrophe.

Katrin Schmidt

Die Stimme von Katrin Schmidt klingt ruhig – und doch trägt sie die Wucht von unzähligen Hilferufen in sich. Jeden Monat rufen verzweifelte, weinende Mütter im Büsumer Kurzentrum "Gode Tied" an – weil sie erschöpft sind, nicht mehr weiterwissen, keinen Therapieplatz finden. "Wir haben manchmal 1000 Anrufe im Monat", sagt die 61-jährige Juristin, die das evangelische Kurzentrum Gode Tied in Büsum unter der Trägerschaft der Nordkirche leitet.

Hier, im Kurzentrum, können Mütter im Rahmen einer Mutter-Kind-Kur "einfach mal wieder durchatmen". Denn: Das Leben wie im Hamsterrad verursacht häufig gravierende Gesundheitsgefährdungen, Erschöpfung bis zum Burn-out, Angstzustände, Depressionen oder auch Schlafstörungen.

Wenn der Alltag zur Überlastung wird

Aber: Der Aufenthalt im Gode Tied hat nichts mit Urlaub zu tun. Eine dreiwöchige Mutter-Kind-Kur, sagt Schmidt, "ist harte Arbeit an sich selbst". Körperlich, seelisch – und emotional. "Man muss sich mit solchen Belastungen auseinandersetzen, damit der Weg, der gegangen wird, von Erfolg gekrönt ist", so Schmidt. "Die Mütter, die zu uns kommen, sind erschöpft." In den vergangenen Jahren seien das immer mehr geworden. "Weil sie in der Coronazeit neben ihrem Job für die Kinderbetreuung verantwortlich waren, sich mit Ängsten und Sorgen auseinandersetzen mussten, etwa wegen der Inflation." Hinzu kommt, dass die Belastung im Job zugenommen habe. Laut Müttergenesungswerk sind 24 Prozent aller Mütter überlastet und kurbedürftig.

Hinzu kommt, dass Frauen nach wie vor die "Familienstütze" sind, so Schmidt. Das mache sich unter anderem im Aufwand bemerkbar. In einer repräsentativen Onlinebefragung, die das Institut Arbeit und Qualifikation für die Bertelsmann-Stiftung durchgeführt hat, gaben Frauen an, 27,5 Stunden pro Woche in die Kinderbetreuung zu investieren. Bei Männern seien es wöchentlich nur 17,5 Stunden. "Der Mehraufwand summiert sich", sagt Schmidt. Und gleichzeitig kümmern sich die Frauen um pflegebedürftige Angehörige. Und sie trauern – um Eltern, Partner, Kinder. "Mutter-Kind-Kuren sind wichtiger denn je."

Wenn die Platzsuche zur Katastrophe wird

Doch damit nicht genug: Mittlerweile haben die Betroffenen sehr komplexe Belastungen, sagt Schmidt. Die Frauen leiden nicht nur unter der Erschöpfung, sondern haben nun zunehmend chronische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Neurodermitis, Asthma. "Auch das war vor einigen Jahren noch anders", so Schmidt. All den Betroffenen soll in Büsum geholfen werden.

Doch der Weg zur Kur ist steinig. "Die Kuren werden zwar zumeist von den Krankenkassen bewilligt, aber die Platzsuche ist eine Katastrophe", sagt Schmidt. Eine Wartezeit von einem Jahr oder länger ist keine Ausnahme, nicht nur in Büsum, sondern im gesamten Bundesgebiet. "Das Problem ist: Die Mütter sind jetzt erschöpft. Nicht in zwölf Monaten. Das Leid der Menschen geht mir sehr nah", so Schmidt. Um den langen Wartezeiten entgegenzuwirken, brauche es Geld und Personal. "Wir sind im neuen Koalitionsvertrag erwähnt worden, darauf pochen wir", so die 61-Jährige.

Drei Wochen Kur sollen den Weg in ein neues Leben ebnen

Im Gode Tied kümmern sich 65 Mitarbeiter darum, dass Mütter und ihre Kinder im Alter von zwei bis zwölf Jahren neue Kraft schöpfen können. Die Kur dauert drei Wochen – im Gode Tied, das 40 Mütter und 70 Kinder aufnehmen kann. Nach Aufnahmegesprächen mit Ärztin, Psychologin und Sozialpädagogin wird ein individueller Therapieplan erstellt – mit Sport, medizinischen Checks, Gesprächen. Alles darauf ausgerichtet, Körper und Seele wieder in Bewegung zu bringen, sagt Schmidt.

50. Geburtstag: Gode Tied feiert mit Besuchern

Das evangelische Kurzentrum feiert am 22. Mai sein 50-jähriges Bestehen. "Es sind einige Highlights zu erwarten." Einige prominente Gäste werden dabei sein. Viel mehr möchte Schmidt nicht verraten. Allerdings: Es handelt sich hierbei um eine nicht öffentliche Veranstaltung.


Auch in:
Brunsbütteler Zeitung • Dithmarscher Kurier • Marner Zeitung