Rubrik im PS: | Energie-Themen |
Auflage: | 4.309 |
Reichweite: | 10.040 |
Ressort: | Buntes Wochenende |
Nach dem Abwracken geht es weiter
Von der nördlichsten Ecke Nordfrieslands aus kümmert sich bundesweit eine Firma um den Abbau ausgemusterter Windräder – und darum, dass davon möglichst viele Teile wiederverwertet werden.
ier in der Ebene auf dem Firmengelände in der nordwestlichen Ecke Nordfrieslands ist alles zum Greifen nahe, was man sonst nur in luftiger Höhe aus der Entfernung sieht – und wirkt plötzlich ganz schön groß: Die Ausmaße einer stattlichen Blockhütte erreichen die Maschinenhäuser von zwei abgebauten Windkraftanlagen, die gerade aus Oldenswort südlich von Husum eingetroffen sind. Mehr als doppelte Mannshöhe haben die dazugehörigen Naben, die einst Rotoren und Maschinenhaus verbunden haben: 4,50 Meter.
"Das sind Teile von Anlagen, wie sie jetzt in großen Stückzahlen anfallen", sagt Dirk Nielsen. In der Branche sprechen sie von der Zwei-Megawatt-Klasse. Kurz nach der Jahrtausendwende ist dieser Typ auf den Markt gekommen – und erreicht rund 20 Jahre später das Ende seiner Lebensdauer. Eine Zeitspanne, die bei Windrädern jedweden Typs bisher üblich war. Die technischen Betriebsgenehmigungen laufen danach in der Regel aus, ebenso die staatlich garantierte Einspeisevergütung.
Nur wenige Meter entfernt um die Ecke lagern Maschinenhäuser aus Hessen, die nur halb so groß wie diejenigen aus Oldenswort sind. Schon 1996 sind sie gebaut worden, wiegen "nur" 21 Tonnen statt 56 wie die Exemplare der Zwei-Megawatt-Klasse. Dafür begrenzte sich das Leistungsvolumen der von ihnen angetriebenen Anlagen auf nur 0,6 Megawatt.
Kunden aus Japan und den USA
Mit wenigen Blicken lässt sich bei "Wind Nielsen" in Süderlügum die technische Entwicklung der Windenergie erfassen. Das Unternehmen aus dem äußersten Norden Nordfrieslands wrackt Windkraftanlagen ab – und behält von den Teilen alles, was Geschäftsführer Dirk Nielsen noch in irgendeiner Weise für wiederverwertbar hält. 125 Windräder hat die Firma im vergangenen Jahr deutschlandweit abgebaut. Der Radius der Gebrauchtwarenkäufer umfasst ganz Europa. In Einzelfällen reichte er schon bis in die USA und nach Japan. Meist sind Service-Unternehmen die Kunden.
"Schon als Schüler habe ich mich damit beschäftigt, ob man ausgediente Gegenstände nicht noch gebrauchen kann", erzählt Nielsen. "Für meine ersten Autos habe ich mir Teile vom Schrottplatz geholt."
Vom Wiederverkäufer zum Wiederverwerter
Zunächst hat er als Servicemonteur in der Windenergie-Branche gearbeitet und Anlagen aufgestellt. "Als die ersten Generationen dann ausgemustert wurden, wusste keiner wohin damit", blickt Nielsen zurück. Daraus entstand seine Idee, sich zunächst als Zwischenhändler selbstständig zu machen: In Länder wie Polen, Bulgarien und Rumänien hat er in Deutschland ausrangierte Windräder weiterverkauft. "Irgendwann wurde die Anzahl zu groß, um alle weiterzuverkaufen", sagt er. Seitdem bilden das Abwracken selbst und der Gebrauchtwarenhandel den Schwerpunkt seines Geschäfts. Seit 2010 gibt es "Wind Nielsen". 13.000 Quadratmeter Lagerfläche stehen der GmbH mit zehn Beschäftigten in einem einstigen Panzer-Depot der Bundeswehr zur Verfügung. Komponenten von zehn Herstellern hat sie auf Lager, darunter zum Beispiel Nordex, Vestas, Enercon.
Kerngeschäft mit Getrieben und Generatoren
Rotorblätter werden eher selten nachgefragt, weil sie wenig verschleißanfällig seien – aber es kommt auch vor: Gerade hat der Betrieb welche nach Estland geliefert. Die Vorgänger dort waren einem Blitzeinschlag zum Opfer gefallen. Am meisten verkauft "Wind Nielsen" Getriebe und Generatoren weiter. "Das sind die großen Teile, die kaputtgehen können." Zu 30 bis 40 Prozent lagert Nielsen sie ein, wenn er Windkraftanlagen abwrackt.
Vor einer Entscheidung über Ja oder Nein geht sein Team die Wartungs-Historie einer Anlage durch. Dort kann man lesen, ob und wie oft ein Teil gepflegt oder ausgetauscht worden ist. Weitere Messlatten für ein Einlagern sind: Wie viele baugleiche Teile befinden sich bereits in Süderlügum im Vorrat? Sind noch viele andere Anlagen desselben Typs mit entsprechend hohem Ersatzteilbedarf in Betrieb? Wie hoch sind die Transportkosten im Verhältnis zum Wiederverkaufswert?
Vor allem bei Landwirten beliebt ist eine vom Firmenchef als Bastler-Ecke bezeichnete Abteilung. Sie holen sich von dort zum Beispiel Treppen, die sie zum Erklimmen von Güllebehältern nutzen oder halbkreisförmige Maschinenhauseindeckungen. Die lassen sich etwa als Unterstände für Kälber verwenden – "flexibel handhabbar, weil einfach mit einem Frontlader zu bewegen".
Die Kehrseite wachsender Anlagen
Während sich Windkraft-Investoren darüber freuen, dass die Anlagen stetig größer werden, ist Nielsens Begeisterung darüber begrenzt: Was die Stromproduktion beschleunigt, bewirkt beim Abwracken das Gegenteil. "Die Logistik wird dabei durch das Anlagen-Wachstum deutlich aufwändiger", erlebt der Unternehmer. "Die Kosten steigen dadurch ums Drei- bis Vierfache, wenn man die Anlagen der 0,6 und Zwei-Megawattklasse vergleicht. Es braucht etwa zum Abbau höhere Kräne und zum Abtransport längere Spezialfahrzeuge." Letzteres heißt auch schwerer zu bekommende Transportgenehmigungen und größere Umwege. "Alles in allem dauern die Arbeitsschritte mit größeren Arbeiten länger, zumal wir es oft mit ganzen Windparks zu tun haben. Das bindet Kapazitäten. Dadurch geht ein Stück Flexibilität verloren."
Süderlügum
Von Frank Jung